Baden-Württemberg: Mehr Gewalt bei Kindern und Jugendlichen

Statistik des Justizministeriums

Tagtäglich sprechen Gerichte ihre Urteile, mal sind es Diebe, mal Räuber, Betrüger oder auch Mörder. Schwarz auf weiß fasst eine Statistik ihre Urteile zusammen. Dabei fällt in diesem Jahr etwas auf.

Sie schlagen und stehlen, erpressen und stechen zu: Kinder und Jugendliche werden in Baden-Württemberg immer gewalttätiger und landen daher auch zunehmend auf der Anklagebank. Nach Angaben des Justizministeriums stieg die Zahl der Urteile wegen sogenannter Gewaltkriminalität gegen Jugendliche im Alter zwischen 14 und 17 Jahren im Laufe des vergangenen Jahres deutlich um 26,3 Prozent. Unter anderem legten die Werte bei Raub und Erpressung (plus 21,5 Prozent) ebenso zu wie bei gefährlicher Körperverletzung (plus 27,1 Prozent). Mehr als jeder dritte verurteilte Jugendliche und Heranwachsende ist laut Statistik ein Wiederholungstäter.
Das Bild der Gewalt in dieser Altersgruppe sei besorgniserregend, sagte die baden-württembergische Justizministerin Marion Gentges. Für den Anstieg der Gewaltkriminalität insgesamt machte sie unter anderem die Zahl junger Flüchtlinge verantwortlich. «Junge Männer werden häufiger strafrechtlich auffällig als alte Frauen und in der Gruppe der Migranten ist die Anzahl junger Männer besonders hoch», sagte die CDU-Ministerin.

Baden-Württemberg sei vor allem in den vergangenen beiden Jahren mit nie dagewesenen Zahlen an Geflüchteten konfrontiert gewesen. Allein im vergangenen Jahr zählte das Land 36.319 geflohene Menschen. Nur im Jahr 2015 waren es mit 101.141 registrierten Geflüchteten mehr. «Die Statistik ist insoweit ein Spiegel der Gesellschaftsstruktur, bei der Migration vor allem in den letzten Jahren eine immer größere Rolle spielt», sagte Gentges.

Laut Strafverfolgungsstatistik wurden im vergangenen Jahr 826 Jugendliche ohne deutschen Pass verurteilt, das ist ein Anstieg um 14,2 Prozent. Stark gestiegen sind hier vor allem die Urteilszahlen wegen einfachen und schweren Diebstahls sowie wegen gefährlicher Körperverletzung. Der Anteil der ausländischen Bevölkerung im Südwesten hat seit dem Jahr 2011 allerdings auch kontinuierlich auf bis zu 18,5 Prozent zugenommen, während im vergangenen Jahr erneut weniger Deutsche als zuvor im Land lebten, sagte Gentges.

Über alle Delikte verteilt hat sich der auch durch die Pandemie beeinflusste sinkende Trend bei der Zahl verurteilter Jugendlicher im Land laut Statistik der Gerichte nicht fortgesetzt. Vielmehr wurden im vergangenen Jahr in Baden-Württemberg insgesamt 2.858 Jugendliche im Alter zwischen 14 und 17 verurteilt, ein Anstieg um 3,3 Prozent. Die Summe liegt aber noch unter dem Wert des Jahres 2021 (3.055 Urteile).

Sorgen bereiten der Ministerin auch Zahlen, die gar nicht erst in der Statistik auftauchen. Denn wer jünger ist als 14 und somit nicht strafmündig, wird in Deutschland nicht verurteilt. Die Justiz habe keine Chance, auf Kinder einzuwirken, die Straftaten begingen. «Und wenn jemand schon sehr früh Straftaten begeht, dann ist die Gefahr natürlich groß, dass sich das verfestigt, bevor die Justiz eingreifen kann», sagte die CDU-Ministerin.

Gentges sprach sich erneut dafür aus, Fragen zur Strafmündigkeit, zur Einsichts- und Steuerungsfähigkeit von Kindern wissenschaftlich zu untersuchen. Nur dann könnten auch Konsequenzen für ihre Strafbarkeit beraten und die Frage beantwortet werden, ab wann mit Strafen reagiert werden könne.

Nach der polizeilichen Kriminalstatistik waren im Jahr 2019 insgesamt 7.642 Kinder in Baden-Württemberg tatverdächtig. Diese Zahl ist über die Jahre konstant gestiegen bis zu einem Höchststand im vergangenen Jahr von 10.610 Kindern unter Verdacht. Einen hohen Anstieg gab es laut Gentges vor allem bei der Gewaltkriminalität in dieser Altersgruppe. Zwischen 2019 und dem vergangenen Jahr sei die Zahl in diesem Bereich um 63,4 Prozent oder von 604 auf 987 Tatverdächtige gestiegen. Dies werde sich früher oder später auch in der Urteilsbilanz zeigen, sagte Gentges. Bei den Zahlen müssten «die Alarmglocken laut schrillen», fügte sie hinzu.

Aus Sicht der SPD braucht es angesichts des Trends sogenannte Häuser des Jugendrechts in allen 17 Landgerichtsbezirken in Baden-Württemberg. So könnten gefährdete junge Menschen rechtzeitig vor einer kriminellen Laufbahn bewahrt werden, sagte der SPD-Rechtsexperte Boris Weirauch.

In Baden-Württemberg war vor 25 Jahren das bundesweit erste Haus des Jugendrechts eingerichtet worden. Nach dieser Premiere in Stuttgart-Bad Cannstatt wurden auch in Pforzheim (2012), Mannheim (2015), Heilbronn (2017), Ulm (2020), Offenburg (2020), Karlsruhe (2021), Waldshut-Tiengen (2022) und Villingen-Schwenningen (2022) «Häuser des Jugendrechts» in Betrieb genommen. Konstanz soll noch in diesem Jahr folgen, kommendes Jahr gehen dann nach Angaben des Justizministeriums nach derzeitiger Planung Häuser in Stuttgart-Mitte, Heidelberg, Lahr und Ravensburg sowie ein Jahr später in Kehl an den Start.
Quelle: dpa

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