Biberachs OB Zeidler: gemeinsames Fundament nicht aus dem Blick verlieren

Biberachs Oberbürgermeister Zeidler hat sein Statement im Rahmen der Sitzung des Gemeinderates zu den „Corona-Spaziergängen“ und Gegendemonstrationen in Biberach jetzt auch der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. 

 

Zuallererst ist Biberachs OB dankbar, dass die Montagabende in Biberach bisher immer sehr friedlich verlaufen sind. Dann stellt er klar, dass weder alle Spaziergänger Nazis seien, noch alle Gegendemonstranten von der Antifa. Pauschale Verunglimpfungen würden nicht helfen, man müsse dringend zu einer nüchternen Sachlichkeit zurückkehren.

Die Frage nach der „Zeit danach“ beschäftigt den OB aber am meisten. Man dürfe das gemeinsame Fundament nicht aus den Augen verlieren. Dazu sei es wichtig, dass man sich persönlich in die Augen schaut.

Das Statement im Wortlaut

„Meine sehr geehrten Damen und Herren, erlauben Sie mir heute Abend einige kurze Gedanken aus meiner Warte zu dem, was wir derzeit jeden Montag hier bei uns in Biberach erleben.

1. Ich bin allen Beteiligten sehr dankbar, dass die Montagabende bei aller inhaltlichen Unterschiede zwischen den Protagonisten bisher bei uns vor Ort sehr friedlich verlaufen sind. Das ist dem Anstand aller Demonstranten auf beiden Seiten zu verdanken, aber auch dem sehr überlegten und maßvollen Vorgehen der Polizei und unseres Ordnungsamtes. Allen, die hierin Aktien haben, gilt auch mein persönlicher Dank. Mit diesem Dank möchte ich eine eindringliche Bitte verbinden: Bleiben Sie diesem Kurs treu und bewahren Sie diese friedliche Grundstimmung! Wir alle wissen, dass andernorts aggressiver miteinander um-gegangen wird. Diese Vorbemerkung soll selbstverständlich nicht zu dem Missverständnis verleiten, ich würde auch in der Sache und inhaltlich gleich großen Abstand zu den beiden unterschiedlichen Gruppierungen halten, die montags auf der Straße sind. Ihnen allen ist klar, dass ich in der Sache nicht bei den „Spaziergängern“ bin. Die Bürgerschaft hat ein Recht darauf zu wissen, wo der „erste Bürger“ in solchen Fragen steht. Und ich denke ich habe das immer wieder deutlich gemacht. Übrigens hoffe ich, dass der Tot-Impfstoff, der bald verfügbar sein wird, die Diskussion zusätzlich etwas entspannt. Ich würde mir das sehr wünschen.

2. Das führt mich zu einem zweiten Punkt: Ich möchte alle Beteiligten dringend zu rhetorischer Achtsamkeit auffordern. Dem bösen Wort folgt die böse Tat! Konkret: Die Art und Weise, wie wir übereinander sprechen, verändert unseren Umgang miteinander. Hart in der Sache zu sein ist völlig in Ordnung – pauschale Verunglimpfungen oder Urteile über Andersdenkende sind es nicht. Weder sind die „Spaziergänger“ allesamt Nazis, Rechtsradikale, Verschwörungstheoretiker oder Irre – noch handelt es sich bei den Gegendemonstranten um „Zöglinge“ eines korrumpierten Systems, gewaltbereite Antifa’ler oder Anhänger der Bill Gate’schen Weltverschwörung. Hören wir auf, so übereinander zu sprechen! Das verändert das Klima in unserer Gesellschaft auf äußerst ungute Weise. Es ist wie bei allem: Das Extrem vergiftet die Debatte und im nächsten Schritt den Umgang. Daher sollten wir dringend wieder zu einer nüchternen Sachlichkeit zurückkehren. Über die Impflicht kann man diskutieren, das erleben wir ja derzeit, über das Für und Wider einzelner Maßnahmen auch. Aber eben sachlich, auf der Basis gesicherter, allgemein anerkannter Fakten. Und nicht in-dem man versucht, sich gegenseitig maximal zu diskreditieren.

3. Und damit komme ich zu meinem letzten Punkt: Mich beschäftigt derzeit mehr und mehr eine Frage: Und zwar die Frage nach der „Zeit danach“ – sieht jemand von Ihnen ei-ne gesellschaftliche Exit-Strategie? Ich nicht! Irgendwann wird diese Pandemie zu Ende sein, und mit ihr die zugehörigen und notwendigen Maßnahmen. Ich habe große Sorge, dass wir dann weiterhin eine bi-polare Gesellschaft sein werden. Dass wir uns auch weiter-hin nur durch die Brille der momentanen Meinungsäußerungen anschauen werden. So-weit darf es nicht kommen! Dieses Virus hat uns schon viel Schaden und Leid zugefügt – unseren gesellschaftlichen Frieden, unseren Zusammenhalt, unsere Gemeinschaft darf es dauerhaft nicht spalten! Wir alle kennen Menschen in unserem Umfeld, in der Familie, die derzeit „anders ticken“ als wir selbst. Deren Haltung man nicht verstehen oder nachvollziehen kann – übrigens z.T. weit weg auch von Spaziergängern. Bei mir sind da Menschen dabei, die ich ein Leben lang kenne, die ich schätze und mag. Und die ich persönlich nicht aus den Augen verlieren werde und möchte, weil wir in den Jahren 2020 und 2021 Dinge anders bewertet haben. Man muss sich trotz allem noch in die Augen schauen können.

Eine Vielfalt an Meinungen, Weltanschauungen, politischen Positionen – all das ist wichtig und richtig. Aber all das baut auf einem gemeinsamen Fundament, das niedergelegt ist in unserem Grundgesetz: Auf der Einsicht, dass der andere – auch wenn er völlig anders tickt– ein Mensch mit gleicher Würde und gleichen Rechten ist. Und auf der Überzeugung, dass unser Staat und seine Repräsentanten eben keine Räuberbande sind, sondern eine vertrauenswürdige Größe, die die Voraussetzungen dafür schafft, dass wir alle hier ein gutes Leben führen können.

Darum möchte ich mit einer Einladung schließen: Ich möchte alle, die das auch umtreibt, die meine Gedanken teilen, die an einem vernünftigen, wertschätzenden, nach vorne gerichteten Dialog interessiert sind, einladen. Um das klar zu sagen: Ich mache das nur, weil die Demonstrationen bei uns friedlich verlaufen, vielleicht sind wir hier ja schon einen Schritt weiter wie andernorts. Die Teilnahme an einem Spaziergang, was in den diversen Chats von mir gefordert wird, kommt für mich nicht nur inhaltlich, sondern auch aus rechtlich klar nachvollziehbaren Gründen in keinem Falle in Frage. Und ich möchte ausdrücklich auch anbieten, die Fraktionen unseres Gemeinderats, die gewählten Vertreter der Bürger dieser Stadt, mit einzubeziehen. Wir dürfen unser gemeinsames Fundament nicht aus den Augen verlieren. Dazu ist es wichtig, dass man sich persönlich in die Augen schaut.

Mir ist übrigens klar, was morgen passieren wird: Mein Mailpostfach wird wohl wieder überquellen vor Rückmeldungen – und zwar von wohlmeinenden und von weniger wohl-meinenden. Und das aus allen Richtungen. Aber das bin ich mittlerweile schon fast gewohnt: Es ist ein Symptom der gesellschaftlichen Aufgeregtheit, die ich heute kurz be-schreiben wollte. Und die mir große Sorge bereitet.“

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