Boris Palmer ist als Oberbürgermeister von Tübingen wiedergewählt worden. Er setzte sich mit einer absoluten Mehrheit von 52,4 Prozent der Stimmen gegen seine Konkurrenten durch, wie die Stadt am Sonntagabend nach Auszählung aller Wahllokale bekanntgab. Palmer war wegen Ärgers mit seiner Partei nicht für die Grünen, sondern als unabhängiger Kandidat angetreten. Hunderte Bürger versammelten sich vor dem Rathaus, um die Auszählung des Ergebnisses zu verfolgen – und Palmer zu gratulieren. Aber auch Buhrufe waren zu hören.
Palmer richtete sich nach dem Sieg auf dem Tübinger Marktplatz zunächst an seine Gegner: Im Wahlkampf werde hart gerungen, nun sei wichtig, dass Streit beigelegt werde. Es sei das Wesen der Demokratie, dass alle das Ergebnis einer Wahl akzeptierten, ob es ihnen nun gefalle oder nicht. Er hoffe, dass die Tübinger nun zusammenstehen können und alle für die Stadt ihr Bestes geben.
«Ich gebe zu, ich würde mir schon wünschen, wenn die Wahl vorbei ist, dass das Ergebnis nicht mit Buhrufen quittiert wird. Das ist immer auch ein Bewertung der anderen Menschen, die ihre Stimme abgegeben haben», sagte Palmer der Deutschen Presse-Agentur nach seinem Sieg. «Aber das waren vielleicht 5 von 500. Es gibt immer welche, die man nicht versteht.»
Rund 69 000 Tübingerinnen und Tübinger waren wahlberechtigt. Die Wahlbeteiligung lag mit 62,6 Prozent ungewöhnlich hoch. «Wir haben möglicherweise einen Baden-Württemberg-Rekord aufgestellt», sagte Palmer dazu. Die Wahlbeteiligung nannte er sensationell.
Der Oberbürgermeister dankte seinen Unterstützern. «Es ist eine ungewöhnliche Situation, ohne Partei im Rücken in einen solchen Wahlkampf zu gehen.» Viele Menschen hätten sich für ihn eingesetzt. Palmers Konkurrentin Ulrike Baumgärtner (Grüne) kam lediglich auf 22 Prozent der Stimmen, Sofie Geisel (SPD, von der FDP unterstützt) auf 21,4 Prozent der Stimmen. Alle anderen der insgesamt sechs Kandidaten lagen unter drei Prozent der Stimmen.
Palmer ist bereits seit 16 Jahren Stadtoberhaupt. Er hatte im Vorfeld erklärt, nicht mehr beim zweiten Wahlgang antreten zu wollen, sollte er in der ersten Runde nicht vorne liegen. Die Mitgliedschaft des 50-Jährigen bei den Grünen ruht bis Ende 2023 wegen Streitereien um Tabubrüche und Rassismusvorwürfe. Er ging am Marktplatz auch auf sein Verhältnis zu seiner Partei ein. Er habe am Wahltag Kontakt mit Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und Ministerpräsident Winfried Kretschmann (beide Grüne) gehabt, sagte er. Seine Absicht und sein Angebot sei es, für seine Partei mitzuwerben, miteinzutreten und die Werte, die ihm wichtig seien, hochzuhalten. Ökologie sei das einigende Band der Grünen, das werde er künftig stärker hervorheben.
Nach dem Wahlsieg machte Palmer aber auch deutlich, dass er nicht vorhabe, seinen Stil zu ändern. «Warum sollte ein Oberbürgermeister, der zum dritten Mal mit absoluter Mehrheit gewählt wird, seinen Stil ändern?», sagte er. Es lohne sich zu streiten in einer Demokratie, sagte Palmer, man dürfe nicht mit asymmetrischer Demobilisierung alle zum Einschlafen bringen.
Tübingen sei sich einig, dass man bis 2030 klimaneutral werden wolle, mehr bezahlbaren Wohnraum brauche und für alle Kinder wieder ein optimales Betreuungsangebot, sagte Palmer unter Applaus. Er wolle die ökologische Transformation vorantreiben. Palmer dankte auch seiner Familie, die mit ihm am Rathaus war. Seine Frau habe viel mitgemacht. «Wenn da in der Zeitung solche Dinge stehen, das ist nicht ganz leicht, das alles abtropfen zu lassen, wenn da Gehässigkeiten und Morddrohungen ausgebreitet werden.» Auch seine 81-jährige Mutter war auf dem Marktplatz.
Am Ende ging er auf den Ukraine-Krieg ein. Russland und die Ukraine diskutierten derzeit, wer wohl als nächstes die erste «schmutzige Atombombe» werfe. «Mich macht das sehr betroffen», sagte Palmer. «Deshalb ist die Demokratie so kostbar. Lassen sie sie uns gegen alle Feinde der Demokratie verteidigen, wo immer sie sich erheben.»
Der Wahlsieger lud anschließend zur «Happy Hour» in ein Tübinger Lokal am Rathaus. Eine Stunde lang seien die Getränke für alle kostenfrei. (dpa)