Es sei Zeit für die Landesregierung, die Zügel zu lockern und in der Pandemie wieder mehr Freiheiten zu erlauben. So schnell wie möglich soll das Land zurückkehren zu einem mehr oder weniger normalen Alltag. Auch wenn weiter Unheil durch die Delta-Variante droht.
Größere Treffen erlaubt, keine Verbote oder Auflagen mehr in vielen Regionen beim Einkaufen oder Sport, im Schwimmbad oder im Restaurant: Trotz der Warnungen vor der sogenannten Delta-Variante kehrt Baden-Württemberg angesichts weiter sinkender Corona-Zahlen in großen Schritten zu einem mehr oder weniger normalen Alltag zurück. Auf breiter Front lockert die Landesregierung mit der nächsten Corona-Verordnung ab Montag die Corona-Maßnahmen, wie das Staatsministerium am Freitag in Stuttgart mitteilte.
So dürfen sich in Regionen mit einer anhaltend stabilen Inzidenz von unter 10 Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner in sieben Tagen von der nächsten Woche an 25 Menschen aus beliebig vielen Haushalten treffen. In den beiden höheren Stufen bis zu einer Inzidenz von 35 und 50 dürfen vier Haushalte mit höchstens 15 Personen zusammenkommen. Geimpfte und Genesene zählen laut Verordnung nicht dazu.
«Überschreitet ein Stadt- oder Landkreis an fünf aufeinanderfolgenden Tagen den jeweiligen Schwellenwert, werden die Öffnungen wieder zurückgenommen», betont die Landesregierung. Bislang galt, dass in Kreisen mit einer anhaltenden Inzidenz unter 50 nur Treffen von bis zu zehn Menschen aus drei Haushalten erlaubt sind.
Zuletzt hatte sich die Corona-Lage stark entspannt, die Zahlen sinken seit Wochen und gingen auch am Freitag zurück – auf eine landesweite Inzidenz von 7,9. In 35 der 44 Stadt- und Landkreise gibt es derzeit weniger als 10 Ansteckungen pro 100 000 Einwohner in einer Woche.
Was erlaubt ist, richtet sich in der neuen Corona-Verordnung an einem Vier-Stufen-Modell aus: Stufe vier gilt bei einer Inzidenz von über 50, Stufe drei von 50 bis 35, Stufe zwei von 35 bis 10 und Stufe eins für alle Städte und Kreise mit einer Inzidenz unter 10.
Neue Freiheiten gibt es bald zum Beispiel auch in der Gastronomie, im Einzelhandel, in Hotels sowie in Schwimmbädern und in Freizeitparks, für Hochseilgärten und Bäder. Dort fallen von Montag an alle Einschränkungen weg, wenn die Zahl der Ansteckungen pro 100 000 Einwohner binnen einer Woche unter 35 liegt. Auch der sogenannte 3G-Nachweis für Genesene, Geimpfte oder Getestete entfällt. Galerien, Museen und Bibliotheken können bei einer Inzidenz unter 35 ebenfalls wie in früheren Zeiten besucht werden. Auch der Amateur- und Freizeitsport, also auch das Tanzen, wird erleichtert: In den Inzidenzstufen 1 und 2 gibt es keine Beschränkungen mehr.
Für Theater-, Opern und Konzertaufführungen, Kinos, Flohmärkte, Jahrmärkte, Stadtfeste und Volksfeste in Städten und Kreisen der neu eingezogenen Stufe unter 10 gibt es mehrere Möglichkeiten: Unter freiem Himmel dürfen laut neuer Verordnung bis zu 1500 Menschen ohne weitere Auflagen zusammenkommen, in geschlossenen Räumen sind bis zu 500 Personen erlaubt, die nicht getestet, geimpft oder genesen sein müssen. Alternativ kann ein Veranstalter nach Auslastung gehen und 30 Prozent der Plätze ohne oder 60 Prozent mit einem Nachweis nutzen.
Auch an privaten Veranstaltungen wie Geburtstags- oder Hochzeitsfeiern dürfen bis zu 300 Menschen ohne Nachweis teilnehmen, in geschlossenen Räumen müssen die Gäste allerdings geimpft, genesen oder getestet sein. Hoffnungsschimmer auch für Diskotheken, Clubs und ähnliche Einrichtungen: Sie dürfen bei einer Inzidenz unter 10 mit einer Person pro zehn Quadratmeter öffnen. Auch hier muss ein Nachweis mit dabei sein. Liegt die Inzidenz über 10, bleiben Discos und Clubs auch künftig geschlossen. Prostitutionsstätten und Bordelle dürfen laut Verordnung in Inzidenzstufe 1 betrieben werden, es muss beim Zutritt allerdings ein Test-, Impf- oder Genesenennachweis vorliegen.
Maskenpflicht dagegen bleibt. Der Schutz muss auch weiterhin in geschlossenen Räumen wie in Supermärkten, Museen, Theatern, Kinos, Arztpraxen oder öffentlichen Gebäuden ebenso wie in öffentlichen Verkehrsmitteln wie Bussen und Straßenbahnen getragen werden.
Mit dem neuen Stufenmodell will die grün-schwarze Landesregierung die Regeln nach eigenen Angaben deutlich vereinfachen und übersichtlicher machen. Der Entwurf für die neue Verordnung kommt aus dem Gesundheitsministerium. Ziel sei es, den Menschen nachvollziehbare Regeln an die Hand zu geben, die sie akzeptieren, sagte eine Ministeriumssprecherin.
Sorgen bereitet allerdings weiterhin die sogenannte Delta-Variante, die sich im Land ausbreitet und vor der Wissenschaftler ebenso wie Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) eindringlich warnen. Trotz weiter rückläufiger Sieben-Tage-Inzidenz wächst der Anteil dieser Variante in Deutschland deutlich. Das RKI schreibt in einem Bericht, dass angesichts der aktuellen Verbreitung der Varianten damit zu rechnen sei, dass Delta sich gegenüber den anderen Varianten durchsetzen werde. Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) betont, an Lockerungen könne nur festgehalten werden, wenn die Sieben-Tage-Inzidenz stabil bleibe oder sinke. Sollte sie in Baden-Württemberg wieder steigen, werde die Landesregierung nicht warten. Und auch zur neuen Verordnung betont die Regierung: «Wir dürfen jetzt nicht zu leichtsinnig werden. Weiter gilt, nicht alles, was erlaubt ist, sollte man auch maximal ausreizen.»
Text: dpa