Vom 19. bis 22. Oktober 2021 findet die internationale Online-Fachkonferenz „Wege aus Menschenhandel und sexueller Ausbeutung im Donauraum“ statt. Gesteuert wird sie aus dem Ulmer Roxy.
Menschenhandel und vor allem der Handel mit Frauen und Kindern entlang der Donau ist ein massives Problem, das eine bessere Zusammenarbeit sowohl der Behörden als auch der Zivilgesellschaft der Donauländer erfordert. Das transnationale Handlungsfeld ist von organisierter Kriminalität und Korruption geprägt. Um hier langfristige Erfolge zu erzielen, braucht es eine gemeinsame Strategie.
Die interdisziplinäre Fachkonferenz „Wege aus Menschenhandel und sexueller Ausbeutung im Donauraum“ wird insbesondere den Erfahrungsaustausch und die nachhaltige Netzwerkbildung zwischen kommunalen Behörden, Nicht-Regierungsorganisationen und Strafverfolgungsbehörden aus den Donauländern über Staats- und Sektorengrenzen hinweg ermöglichen. Der Hauptfokus liegt auf den Ländern Bulgarien, Rumänien, Ungarn, der Republik Moldau und Deutschland.
Um einen offenen und vertrauensvollen Austausch zu diesem prekären Themen- und Handlungsfeld zwischen den Teilnehmenden zu gewährleisten, war die oberste Prämisse bei Auswahl und Einladung der Fachleute deren Vertrauenswürdigkeit, Integrität und Engagement gegen Korruption. Das Organisationsteam wurde bei der Auswahl fachkundig von der international tätigen Juristin und Expertin zur Bekämpfung von Korruption Veronica Lupu aus der Republik Moldau beraten.
Die Moderation der Konferenz übernimmt die Menschenrechtsaktivistin Inge Bell, zweite Vorsitzende der Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes und Vorsitzende von Solwodi Bayern. Die gesamte Konferenz findet im Online-Format statt. Die Schaltzentrale ist im Roxy Ulm untergebracht. Das Vorbereitungsteam hat gemeinsam mit Inge Bell gezielt viel Raum für Methoden zum Austausch und Interaktion in den Ablauf integriert.
Dagmar Engels, Mitbegründerin des Ulmer Bündnisses gegen Menschenhandel und Zwangsprostitution hat sich mit DONAU 3 FM Reporter Paolo Percoco über das Thema unterhalten.
Seit der EU Osterweiterung haben Menschenhandel und sexuelle Ausbeutung massiv zugenommen. Gleichzeitig hat sich das Rotlicht massiv gewandelt: Zahlreiche Opfer von Menschenhandel und sexueller Ausbeutung stammen aus den Ländern entlang der Donau. Die Corona-Krise hat die Lage zusätzlich verschärft. Arbeitslosigkeit und wirtschaftliche Not werden von Menschenhändlern gezielt ausgenutzt. Um in diesem schwierigen transnationalen Handlungsfeld Erfolge zu erzielen, ist eine Vernetzung und gemeinsame Strategie aller Akteurinnen und Akteure erforderlich.
Derzeit sind in Ulm 29 und in Neu-Ulm 3 Betriebe mit Rotlichtcharakter offiziell gelistet. Beide Städte hatten es noch vor Ausbruch der Corona-Pandemie täglich mit annähernd 220 Sexarbeiter/-innen zu tun. Das Thema macht vor Ulm und Neu-Ulm nicht halt.
Dazu Ulms Oberbürgermeister Gunter Czisch: „Mir als Oberbürgermeister von Ulm ist es wichtig, beim Thema Menschenhandel klar Stellung zu beziehen. Die Städte Ulm und Neu-Ulm sind seit den 90er Jahren Impulsgeberinnen und bewährte Projektpartnerinnen für die Städte und Regionen entlang der Donau. Es geht hier um ein zutiefst menschenverachtendes, hoch kriminelles System. Gemeinsam mit unseren Partnerinnen und Partnern entlang der Donau werden wir neue Handlungsansätze entwickeln und Netzwerke bilden, um Menschenhandel wirksamer entgegen zu treten. Es geht um ein menschenverachtendes System, um die „Ware“ Mensch. Wir müssen die Opfer mit aller Kraft schützen!“
Katrin Albsteiger, Oberbürgermeisterin der Stadt Neu-Ulm, sagt: „Als Oberbürgermeisterin von Neu-Ulm bin ich froh, dass wir hier kein Hotspot sind. Weder Ulm noch Neu-Ulm spielten in Bezug auf den Deliktsbereich Menschenhandel in den vergangenen Jahren eine tragende Rolle in der polizeilichen Kriminalstatistik des jeweiligen Bundeslandes. Aber wir dürfen uns nichts vormachen, die Dunkelziffern in dem Bereich liegt viel höher. Es passiert auch bei uns. Durch meine Erfahrung als frühere Bundestagsabgeordnete weiß ich, wie wichtig es ist, dass alle Sektoren im Bereich Menschenhandel an einem Strang ziehen und gut vernetzt sind. Die Stadt Neu-Ulm freut sich, diesem wichtigen und problematischen Thema durch die Konferenz eine Plattform zum internationalen Austausch bieten zu können.“
Marietta Hageney von der SOLWODI Ba-Wü e.V. Fachberatungsstelle ist auch Mitglied im Ulmer Bündnis. Sie sagt: „Prostitution ist nie die Lösung. Arme Frauen werden nicht reich, traumatisierte und verletzte Frauen werden nicht gesund und diskriminierte Frauen werden nicht weniger ausgegrenzt. Die Sexindustrie lebt davon, dass Frauen und Mädchen in die Prostitution getrieben werden und sie hat perfide Methoden entwickelt, diese zu rekrutieren. Wir machen tagtäglich die Erfahrung, dass Prostitution für viele Frauen oftmals das letzte Glied in einer Kette aus Gewalt- und Missbrauchserfahrungen, Stigmatisierung, Armut und Perspektivlosigkeit ist. Die Frauen und Mädchen versuchen einer Welt voller Nöte zu entfliehen – doch der Weg aus der Not endet häufig im Elend.“
Manfred Paulus, Autor und Kriminalhauptkommissar a.D., war Jahrzehnte mit dem Thema befasst: „Frauenhandel mit dem Ziel der Sexsklaverei ist seit jeher, spätestens jedoch seit den Grenzöffnungen nach Osten hin, ein Betätigungsfeld von Tätergruppierungen, die dem Organisierten Verbrechen zuzuordnen sind. Und Deutschland lädt diese viel beschriebenen und zu Recht gefürchteten OK-Gruppierungen durch seine zentrale geografische Lage, seine wirtschaftlichen Gegebenheiten, seine hohe Nachfrage nach illegalen Gütern (so auch nach den Opfern dieses Marktes) und nicht zuletzt durch seine anhaltend täterfreundlichen (gesetzlichen) Bedingungen geradezu ein. Und diese Gruppierungen nehmen die Einladung seit Jahren dankend und in hohem Maße an. Noch vor dem Handel mit Waffen und Drogen ist der Handel mit der Ware Frau die lukrativste Einnahmequelle des organisierten Verbrechens. Waffen und Drogen kann man nur einmal verkaufen, die Ware Frau hingegen immer wieder.“
Bereits im Herbst 2017, im Rahmen des Jahresforums der EU-Donauraumstrategie in Budapest, hatten sich Ulm und Neu-Ulm in einer vom Donaubüro und Ulmer Bündnis formulierten Deklaration von Städten und Regionen entlang der Donau gegen Menschenhandel und Zwangsprostitution ausgesprochen. Menschenhandel und vor allem der Handel mit Frauen und Kindern entlang der Donau zum Zweck der sexuellen Ausbeutung ist ein real existierendes Problem und mit den europäischen Grundwerten nicht vereinbar.
Daher hat sich das Donaubüro Ulm/Neu-Ulm als Projektträger nun gemeinsam mit dem Ulmer Bündnis, der Stadt Ulm, Solwodi Baden-Württemberg und dem Polizeipräsidium Ulm auf den Weg gemacht, die Fachkonferenz »Wege aus Menschenhandel und sexueller Ausbeutung im Donauraum« umzusetzen. Mit dieser Konferenz erhoffen sich die Akteure weitere wichtige Impulse, um gemeinsam Menschenhandel zu bekämpfen und starke Netzwerke über Staats- und Sektorengrenzen hinweg, die in den gesamten Donauraum ausstrahlen.
Das Ulmer Bündnis gegen Menschenhandel und Zwangsprostitution greift seit vielen Jahren das Thema Menschenhandel und Zwangsprostitution auf. Nach einer sehr erfolgreichen Veranstaltung des Ulmer Bündnisses beim Donaufest 2018 nahm die damalige Staatssekretärin und heutige Kultusministerin Baden-Württembergs, Theresa Schopper, mit dem Ulmer Bündnis Kontakt auf. Das Bündnis erstellte gemeinsam mit dem Polizeipräsidium Ulm ein Konzept für die internationale Fachkonferenz „Wege aus Menschenhandel und sexueller Ausbeutung im Donauraum“ und stellte einen Förderantrag beim Staatsministerium. Das Staatsministerium unterstützt die Konferenz finanziell im Zuge der Umsetzung der EU-Strategie für den Donauraum. Das Donaubüro ist Projektträger. Ursprünglich war die Konferenz für Herbst 2020 vor Ort in Ulm geplant.
Das Donaubüro Ulm/Neu-Ulm, die Stadt Ulm, das Ulmer Bündnis gegen Menschenhandel und Zwangsprostitution, SOLWODI Baden-Württemberg und das Polizeipräsidium Ulm bringen damit jetzt über 150 ausgewählte Expertinnen und Experten aus insgesamt 10 Donauländern zum virtuellen Austausch und zur transnationalen Vernetzung zusammen, um Menschenhandel im Donauraum effektiver zu bekämpfen.