Die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft wirft dem Tatverdächtigen versuchten Mord in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung vor, der Angeklagte Stephen S. hat die Tat in vollem Umfang zugegeben und sich vor Gericht ausführlich zu den Hintergründen geäußert.
Zu Sitzungsbeginn wird der Angeklagte mit Handschellen und Fußfesseln von einem Justizbeamten in den Saal geführt, eine hochgeschlagene Kapuze und ein dicker Aktenordner vor dem Gesicht verwehren den Kameras der Journalisten jeden Blick auf das Gesicht. Als die Kameras wie vereinbart abgeschaltet werden, legt er die Jacke ab und es kommt ein junger 90 Kilo kräftiger und 1,86 Meter großer Mann zum Vorschein mit kurzen Haaren. Die Stimme ist kräftig und ruhig, als er zugibt mit dem Messer auf seine ehemalige Arbeitskollegin eingestochen zu haben. Auf jede Frage des Vorsitzenden Richter Wolfgang Tresenreiter antwortet der Angeklagte detailliert.
Eineinhalb Jahre Vorgeschichte gibt es bis zu dem Messerangriff Ende März. Doch zuerst wollen die Mitglieder der 3. Großen Strafkammer den Tattag beleuchten.
Am 29. März läuft der Angeklagte zu Fuß auf dem Gehweg zu einem Fitness-Studio in Dornstadt, als ihm nach seinen Worten zufällig seine Arbeitskollegin im Auto entgegenkam. Sie bemerkt ihn wohl nicht, muss anhalten, da es sich vor ihr staut. Als er um das Auto herumläuft, fällt er spontan den Entschluss, ihr Angst zu machen, zückt sein Klappmesser und zeigt es ihr durch die Seitenscheibe. Da die Frau nicht reagiert, reißt er voller Wut die Fahrertüre auf und sticht ihr in den Hals. Bei einem zweiten Stich wird eine Rippe getroffen und durch die Abwehrversuche der Frau zwei Sehnen an der Hand teildurchtrennt. Danach ist der Täter weitergegangen. Die Frau wird nach einer Erstversorgung durch den Notarzt in ein Krankenhaus gebracht, Lebensgefahr bestand nicht. Wenig später wurde der Messerstecher in der Nähe festgenommen, das blutverschmierte Messer hatte er bei sich.
In der Vorgeschichte ist der Angeklagte auffallend detailliert, viele Ereignisse werden von ihm mit Datum und Wochentag benannt. Ausgehend von einer Fahrgemeinschaft lernte man sich wohl besser kennen, traf sich an den Wochenenden, um miteinander zu reden, Alkohol zu trinken oder auch zu rauchen. Dabei kam es angeblich nach einiger Zeit zu Annäherungsversuchen durch die Frau, die ihn streichelte und auch mehrfach küsste, was sich der Angeklagte verbeten hatte. Wegen der Zurückweisungen soll die Frau dann dem Täter nachgestellt haben und am Arbeitsplatz Gerüchte verbreitet haben. Der Angeklagte fühlte sich vom Opfer unter Druck gesetzt, da er ihre Avancen nicht erwiderte und sie nach seinen Angaben medizinische Unterlagen von ihm fotografiert hatte. Die Angst trieb ihn um, dass diese Unterlagen oder Informationen daraus durch die Arbeitskollegin in der Firma verbreitet werden.
Das führte dann zu einem angespannten Arbeitsverhältnis auch zu Kollegen und Vorgesetzten.
Die durch die Messerstiche schwerverletzte Frau hat sich als Nebenklägerin dem Prozess angeschlossen, als ihr Rechtsanwalt Ingo Hoffmann dann den Angeklagten befragen darf, wird Hoffmann zeitweise emotional, um die Folgen für das Opfer plastisch zu machen. Gerade die psychischen Folgen machen ihr offenbar schwer zu schaffen, daher stellte Hoffmann einen Antrag in den Raum, dass die Vernehmung des Opfers nicht im Gerichtssaal, sondern per Videokonferenz erfolgen soll, damit sie dem Täter nicht noch einmal begegnen muss. Auf Hoffmanns Frage, ob der Täter die Tat bedauert, kam von ihm ein klares Ja, ob er auch die Sorgen und Ängste des Opfers verstehen kann, verneinte der Täter jedoch.
Derzeit sind bis zum 26. Oktober vier weitere Verhandlungstage angesetzt, bei denen bisher 14 Zeugen und ein Sachverständiger geladen sind. Während des gesamten Prozesses ist auch ein psychiatrischer Sachverständiger anwesend.
Text/Foto: Thomas Heckmann