Personal und Patienten am Limit: Zu Besuch auf der Corona-Intensivstation im Ulmer BwK

Die Impfgegner beschimpfen die Impfbefürworter, die Impfbefürworter beschimpfen die Impfgegner, wechselseitige Beschimpfungen als Schlafschafe und Aluhutträger. In der öffentlichen Diskussion verhärten sich die Fronten und währenddessen laufen die Intensivstationen der Krankenhäuser voll. Das Bundeswehrkrankenhaus (BwK) Ulm gewährt uns einen Einblick in die Intensivstation und Mitarbeiter vom Generalarzt bis zur Pflegekraft sagen uns, wie sie mit ihrer Arbeit zurechtkommen.

„Wir haben seit fast zwei Jahren im Hamsterrad gearbeitet“ fasst der Kommandeur des BwK Ulm, Generalarzt Dr. Jörg Ahrens die Situation plakativ zusammen. In jedem Satz kommt aber auch ganz viel Stolz auf „sein“ Personal heraus, denn auch in den Phasen, in denen die Corona-Pandemie in der öffentlichen Wahrnehmung ruhiger verlief, arbeitete die Klinik und ihr Personal auf Hochtouren. Das Militärkrankenhaus mit rund 500 Betten und 1 600 Mitarbeitern versorgt nicht nur die süddeutschen Soldaten und Kameraden im Auslandseinsatz, sondern ist auch in der schwäbischen Kliniklandschaft als Traumazentrum und als Station eines Rettungshubschraubers ein wichtiger Stützpfeiler der medizinischen Versorgung der Bevölkerung.

Jeder der Hilfe braucht, bekommt sie auch

Auslandseinsätze in Mali und im Irak, die Evakuierung aus Kabul, der Betrieb einer Intensivstation in Portugal im März und der Transport von rumänischen Corona-Patienten nach Norddeutschland sind dabei nur einige exemplarische Militäreinsätze in diesem Jahr. 

Ein Intensiv-Patient muss gedreht werden, insgesamt müssen vier Ärzte und Pfleger zusammenanpacken. Schläuche dürfen beim Drehen nicht abknicken oder herausgezogen werden, der gesamte Vorgang dauert dadurch rund eine halbe Stunde.

Daneben läuft der Klinikbetrieb weiter. Für Ahrens gilt es, die Balance zu halten zwischen der Versorgung von Covid-Patienten auf der einen Seite und Schwerverletzten durch Unfälle auf der anderen Seite. Der Mediziner betont, dass jeder die Hilfe bekommt, die er dringend braucht.

Die Krankenhäuser der Region unterstützen sich dabei gegenseitig, es sei „ein tagesaktueller Sichtflug“ in der Abstimmung der Krankenhäuser. Dabei ruft der Krankenhaus-Chef auch jeden Kranken auf, ins Krankenhaus zu gehen, wenn er Hilfe braucht. Das umfangreiche Hygienekonzept schützt dabei Personal und Patienten vor einer Corona-Infektion und es bekommt auch jeder Patient mit einem Herzinfarkt und jedes Unfallopfer die notwendige medizinische Hilfe.

Ein Notarzt fragt bei einem Unfallbeteiligten ja auch nicht, ob er vor dem Unfall zu schnell gefahren ist. - Judith Bauer, Ärztin

An der Schleuse zur Intensivstation wartet die Ärztin Judith Bauer, die zum Gespräch in das Stationszimmer der Intensivstation bittet. Eigentlich hätte dort schon vor einer halben Stunde die Frühstückspause stattfinden sollen, doch alle Teller sind unberührt und auch der Korb mit den Brötchen ist noch voll. Auch heute sind die Ärzte und Pfleger noch mit der Versorgung der Patienten beschäftigt, die Pause wurde einmal wieder verschoben. Während die Ärztin erklärt, warum Corona-Patienten immer wieder in eine Bauchlage gedreht werden, kommen endlich die ersten Kollegen aus der Schleuse zu den Patientenzimmern und lassen sich auf die Stühle fallen. Kurz ein Brötchen belegen und essen, währenddessen kommt schon wieder jemand zur Tür herein und hat dringende Fragen zum Gesundheitszustand eines Patienten.

Während dem Essen erzählt ein Stationsarzt von seinem zwölfjährigen Sohn, der ihn vor ein paar Tagen gefragt hat, warum er auch Ungeimpften hilft, denn die sind doch selbst schuld an ihrem Gesundheitszustand. Nach einer kurzen Sprachlosigkeit über solch eine Kinderfrage hat er seinem Sohn erklärt, dass er als Arzt jedem Menschen hilft und nicht unterscheidet, warum er in dieser Situation ist. Judith Bauer ergänzt, dass ein Notarzt bei einem Unfallbeteiligten ja auch nicht fragt, ob er vor dem Unfall zu schnell gefahren ist. Eine richtige Pause wird es nicht, stattdessen bricht das Personal wieder auf, um sich erneut mit Schutzkleidung auszustatten und den nächsten Patienten zu drehen.

Drei Wochenenden pro Monat als "Zusatzschicht" sind im Moment normal für Ärztin Judith Bauer im BwK Ulm.

Im Gespräch mit unserem Radiosender bricht Ahrens eine Lanze für das Impfen. Zum Einen ist die Impfung ein individueller Schutz für jeden Einzelnen vor schweren Verläufen und zum Anderen vermindert die Impfung das Ansteckungsrisiko für Andere.

Auf der normalen Infektionsstation liegen laut dem Generalarzt etwa gleich viele Geimpfte und Ungeimpfte, auch wenn die Geimpften mittlerweile in der Gesamtbevölkerung in der Mehrzahl sind. Auf der Corona-Intensivstation befinden sich ausschließlich ungeimpfte Patienten. Während in den ersten Wellen die Patienten überwiegend älter waren, ist in der aktuellen vierten Welle die Altersstruktur der Bevölkerung auch im Krankenhaus gleichmäßig verteilt. In einem Zimmer auf der Intensivstation steht ein Familienfoto auf einer Wandleiste. Der künstlich beatmete und narkotisierte Mann um die 40, der im Bett liegt, ist auf dem Foto lachend inmitten seiner Kinder und neben seiner Frau zu sehen. Er ist ungeimpft und kämpft um das Überleben.

15 Angehörige wollten sich impfen lassen

Der Ärztin ist anzumerken, dass sie erschöpft ist. Genauso wie ihre Kollegen, die nicht nur dienstplanmäßig an zwei Wochenenden pro Monat arbeiten, sondern oft noch ein drittes Wochenende als Überstunden ableisten, da die Arbeit extrem personalintensiv ist. Nun muss wieder ein Patient gedreht werden, Judith Bauer geht zum Helfen in das Zimmer, insgesamt müssen vier Kollegen zusammenanpacken. Bauer weiß mittlerweile, welcher Typ Bettlaken rutschiger ist als die anderen und damit das Drehen leichter macht. Manchmal sind es Kleinigkeiten, die in Zusammenarbeit mit der Klinikwäscherei die Arbeit etwas erleichtern. Schläuche dürfen beim Drehen nicht abknicken oder herausgezogen werden, der gesamte Vorgang dauert dadurch rund eine halbe Stunde. Nach dem Drehen kontrolliert die Ärztin Bauer mit dem Stethoskop, ob der Beatmungsschlauch noch richtig liegt. Durch die abwechselnde Drehung in Bauch- und Rückenlage wird die Lunge gleichmäßiger belüftet.

Und dann fällt Bauer der Anruf eines Hausarztes ein. Der Kollege erkundigte sich, ob ein bestimmter Patient bei ihr auf der Intensivstation sei. Bauer bejahte das und der Arzt erklärte ihr den Hintergrund der Frage. Insgesamt 15 Angehörige des Patienten waren gleichzeitig in der Hausarzt-Praxis aufgetaucht und verlangten nach einer Impfung. Das Schicksal ihres nicht geimpften Angehörigen auf der Intensivstation hatte die Großfamilie zum gemeinschaftlichen Umdenken gebracht.

In der aktuellen Welle sind für Bauer neben den Impfungen auch die Kontaktbeschränkungen hilfreich und sie wünscht sich für ihre Kollegen und sich selbst, dass sie nicht das zweite Weihnachtsfest in Folge bei der Arbeit im Krankenhaus verbringen muss.

Text/Foto: Thomas Heckmann

Galerie:

Das könnte Dich auch interessieren

06.09.2024 Tag des offenen Denkmals am Sonntag In vielen Städten und Gemeinden der Region, darunter Ulm, Neu-Ulm und Ehingen, öffnen historische Gebäude und Denkmäler ihre Türen für Euch. Vielerorts werden geführte Touren, Vorträge und besondere Einblicke in sonst verschlossene Kulturdenkmäler angeboten. Der Eintritt ist frei. Dieses Jahr steht die Veranstaltung in Deutschland unter dem Motto „Wahr-Zeichen. Zeitzeugen der Geschichte“. Alleine in Ulm 03.09.2024 Falsche Polizisten am Telefon in Ulm und Umgebung Seit dem frühen Nachmittag sind im Bereich zwischen Ulm und der nördlichen Grenze des Alb-Donau-Kreises mindestens 13 Anrufe eingegangen, bei denen sich Betrüger als Polizisten ausgegeben haben. Das Ziel der Täter: Die Angerufenen um ihr Erspartes zu bringen. Weitere Regionen betroffen Es ist nicht auszuschließen, dass auch Bewohner anderer Regionen im Bereich des Polizeipräsidiums Ulm 23.08.2024 Marcel Emmerich tritt erneut für die Bundestagskandidatur an Marcel Emmerich hat sich erneut als Kandidat für die kommende Bundestagswahl im Wahlkreis Ulm und Alb-Donau-Kreis beworben. In einer persönlichen Erklärung appelliert er an das Vertrauen der Grünen Mitglieder und unterstreicht die Bedeutung von mutiger und verantwortungsbewusster Politik in Zeiten von Krisen und Unsicherheit. „Die Welt steht Kopf“ Pandemie, Klimakrise, Krieg in Europa und im 22.08.2024 Günstigere Regionalklassen für viele Autofahrer im Südwesten Wegen einer Neubewertung des Unfallrisikos können zahlreiche Menschen im Südwesten mit niedrigeren Beiträgen für Autoversicherungen rechnen. Unter anderem in den Zulassungsbezirken Ulm, Reutlingen, Ravensburg sowie im Bodensee- und Alb-Donau-Kreis verbessern sich die sogenannten Regionalklassen sowohl für Voll- als auch für Teilkaskoversicherungen. Das zeigt die neue Regionalstatistik des Gesamtverbands der Versicherungswirtschaft (GDV), die am Donnerstag veröffentlicht wurde.