Pilotprojekt "Kampf dem K.O."

Prävention & Aufklärung rund um K.o.-Tropfen

Es genügen ein paar Tropfen. Party, gute Laune, Tanzen, Alkohol und dann - nichts.

Anmerkung der Redaktion: Dieser Artikel spricht über K.o.-Tropfen und sexualisierte Gewalt. Falls dir diese sensible Thematiken gerade nicht gut bekommen würden, lies den Artikel bitte nicht weiter.

Auch wenn es keine aussagekräftigen Zahlen zu Opfern von K.o.-Tropfen gibt, ist mittlerweile klar, dass das kein Problem der Unterwelt ist: Betroffene erzählen von ihren Erfahrungen, Kampagnen, wie "nachtsam" werden bekannt und in Ulm beginnt ein Pilotprojekt. 

Ein Opfer erzählt - so fühlen sich K.o.-Tropfen an

Samstagabend. Eine Party, wie jede andere. Er ist mit seinen Freunden dort und verbringt einen schönen Abend. Um 2 Uhr nachts wollen sie langsam nach Hause gehen. Er trinkt seinen Cocktail aus, zusammen gehen sie zur Garderobe und schließlich die Treppen zum Ausgang. Hier stellt er das erste Mal fest, dass etwas nicht stimmt. Ihm wird schwindelig, er schwankt plötzlich stark, kommt die Treppen kaum ohne Hilfe runter, muss sich setzen. Alles dreht sich, die Beine machen nicht mehr das, was er will. Sein Bewusstsein schwindet manchmal kurz. Das ist nicht der Alkohol, das ist etwas anderes. Auf der Rückfahrt wird ihm schlecht. Er muss aussteigen.

Daheim ist er nicht mehr allein. Jemand begleitet ihn, leidet genauso wie er. Doch die Person gibt es nur in seinem Kopf.

Zwei Stunden später, daheim. Er wacht auf, windet sich vor Schmerzen, ihm geht es gar nicht gut. Sein Zimmer dreht sich. Beine, Arme und der gesamte Körper reagieren nicht mehr auf seinen Willen. Er weckt seine Freundin, die neben ihm schläft. Sie versteht erst den Ernst der Lage nicht, bietet ihm Wasser an, eine Schmerztablette. Sein Zustand verschlechtert sich im Minutentakt. Die Schmerzen im Bauch führen zu Hilfeschreien, Schweißausbrüchen, Zittern, Krämpfen, Panik, Angst, Atemnot und schließlich Bewusstlosigkeit. Die Einsatzzentrale ordnet an, ihn wach zu halten - unmöglich. Selbst seine Reize haben ausgesetzt. Der Notarzt nimmt ihn mit ins Krankenhaus, vermutet einen zu hohen Alkoholkonsum, weisen ein Hirn-CT an.

Zwei Stunden später. Er wacht im Krankenhaus auf. Und weiß nichts mehr von den letzten fünf Stunden. Bis heute.

All das ist für ihn nie passiert.

Das sind K.o.-Tropfen

„K.o.“ ist die Abkürzung für „Knock out“, bekannt aus dem Kampfsport, wenn jemand sein Gegenüber niedergestreckt hat.

Insgesamt sind mit K.o.-Tropfen verschiedene Drogen gemeint, die den konsumierenden Menschen schnell außer Gefecht setzten. Einige dieser Substanzen werden normalerweise therapeutisch als Schlaf- oder Beruhigungsmittel oder als Partydroge genutzt und missbraucht. Mehr als 100 Wirkstoffe sind als „K.o.-Mittel“ verwendbar.

Die bekannteste Droge ist sogenanntes GBL beziehungsweise GHB, umgangssprachlich liquid ecstasy. GHB ist eine farblose, leicht salzig schmeckende Flüssigkeit, das ursprünglich als Narkosemittel verwendet wurde. Bereits 1998 wird über die neue „Wunderdroge“ berichtet, die schnell im Nachtleben missbräuchlich verwendet wird.

GBL ist unter anderem als Lösungs- und Reinigungsmittel beispielsweise zur Graffitientfernung enthalten. Erworben kann die Droge etwa im Baumarkt oder im Web werden, auch völlig reines GBL. Denn im Gegensatz zu GHB unterliegt GBL nicht dem Betäubungsmittelgesetz, außer es besteht unerlaubter Handel. In der chemischen Industrie, also bei den Reinigungsmitteln, überwacht diese den Handel und Vertrieb im Rahmen von freiwilligen Selbstkontrollen.

Laut dem Bundesgerichthof werden etwa 50.000 Tonnen GBL in Deutschland jährlich industriell hergestellt.

Dabei ist der Konsum von GBL und GHB mit erheblichen gesundheitlichen Risiken verbunden. Die psychoaktive Wirkung der beiden Stoffe ist identisch.

Je nach seelischem Zustand, alkoholischem Konsum und anderen Faktoren wirken die Drogen bei jedem individuell, so dass eine Dosis für den einen tödlich sein kann und für den anderen nicht. Auch die Wirkungen sind von Mensch zu Mensch unterschiedlich.

Bei geringeren bis mittleren Mengen kann die Droge entspannend, beruhigend, euphorisierend und sexuell anregend wirken. Doch auch Schläfrigkeit, Verwirrtheit bis hin zu Gedächtnisstörungen sind Folgen eines geringen GHB-Konsums. Höhere Dosen verstärken die einschläfernde Wirkung bis zur Bewusstlosigkeit. Erbrechen, Atembeschwerden und -depressionen, Krämpfe und Lähmungen, Schwindelgefühle, Bewegungsstörungen und noch viel mehr sind Risiken.

Der Unterschied zwischen einer Dosis für einen gewünschten Effekt und einem toxischen Koma ist gering. Tritt letzteres ein, ist die Chance ohne ärztliche Hilfe zu Sterben sehr hoch.

GBL beziehungsweise GHB wird häufig als K.o.-Tropfen eingesetzt, da sie innerhalb kürzester Zeit betäubend wirken, die Menschen bewusstlos und „willenlos“ machen und Gedächtnisstörungen auftreten, sodass Betroffene sich meist an die Stunden der Wirkung nicht erinnern können. Zudem kann liquid ecstasy im Blut nur wenige Stunden nachgewiesen werden, im Urin bis zu 12 Stunden. Die Tests kosten über 200 Euro und müssen selbst übernommen werden. Zudem werden die Tests in Krankenhäusern nicht immer automatisch angeboten, denn das Personal ist knapp. 

Vergangene Taten mit K.o.-Tropfen weisen auf, dass diese Drogen oftmals bei sexuellen Gewaltverbrechen eingesetzt werden, da sich das Opfer weder wehren noch erinnern und somit nichts nachgewiesen werden kann, außer es wird ein Missbrauch anderweitig festgestellt.

Entweder ins Getränk gemischt in einem unbeobachteten Augenblick oder als Spritze ist es für Betroffene nahezu unmöglich rechtzeitig die untergeschobene Droge zu bemerken. In Kombination mit beispielsweise Alkohol wirkt GHB deutlich stärker und länger, sodass Mischkonsum schnell gefährlich werden kann.

Juristische und politische Problematik

Der Betroffene, der erzählt, wie sich K.o.-Tropfen anfühlen, ist im Gegensatz zu anderen Erfahrungsberichten, sicher im Krankenhaus aufgewacht. Viele Opfer – hauptsächlich weibliche Personen – kommen in fremder Umgebung, oftmals unbekleidet zu sich. Die Betroffenen wollen Gerechtigkeit für das, was ihnen geschehen ist. Doch hier gibt es einige juristische und politische Probleme, die wie ein Hamsterrad wirken.

Wollen Opfer ihre Täter juristisch verklagen, begegnen sie häufig den ersten Problemen. Das liegt hauptsächlich an vier Schwierigkeiten, die in ihrer Zusammenwirkung eine Verurteilung nahezu unmöglich machen.

Tätersuche

Wenn Opfer auf Partys K.o.-Tropfen verabreicht bekommen, geschieht das in unbeobachteten Momenten. Das bedeutet, dass der Täter erstmal unbekannt ist. Wird später nachrecherchiert, wer potentiell verantwortlich sein könnte, trifft man auf einige Schwierigkeiten. Denn selten werden auf Partys oder im Club die Gäste registriert oder Personalien aufgenommen. Auch die Türsteher oder Barkeeper können sich nicht jedes Gesicht merken. Wie soll also der Täter gefunden werden?

Nachweisbarkeit

K.o.-Tropfen können nur wenige Stunden nachgewiesen werden mittels Blut- oder Urintests. Opfer wachen auf, wissen nichts mehr und sind erstmal ratlos. Sie sind häufig unsicher, ob sie überhaupt K.o.-Tropfen bekommen haben oder Alkohol Ursache für den Zustand sein könnte. Auch nach möglichen sexuellen Gewaltverbrechen, benötigen Betroffene oftmals länger, um überhaupt zu realisieren, was passiert ist und wie weiter vorgegangen werden soll.

Gedächtnisverlust

K.o.-Tropfen bewirken Gedächtnisverlust. Opfer können sich an die vergangenen Stunden nicht mehr erinnern. Häufig ändert sich daran nie etwas. Wissen die Betroffenen nichts mehr, können sie vor Gericht auch nicht aussagen, was passiert ist. Der Täter hingegen, war immer geistig anwesend und kann damit klar sagen, was in der Zeit geschehen sein muss. Das erhöht die Glaubwürdigkeit in einem juristischen Fall.

Unsicherheiten

Dadurch, dass Opfer sich an nichts mehr erinnern können, bekommen sie im Nachhinein oftmals Unsicherheiten. Nach Verdacht auf sexuellem Missbrauch empfinden Betroffene meist Scham und Angst, weshalb sie selbst nicht immer unbedingt gleich einem Test zustimmen, sich zu spät darum kümmern, oder erst gar nicht melden. Zudem können Opfer sexueller Gewalt nach K.o.-Tropfen vor Gericht aufgrund des Gedächtnisverlustes keinen Beweis erbringen, dass der Geschlechtsverkehr nicht einvernehmlich war. Hier kommen oftmals Fragen, wie „Bin ich eben so?“, „Lag es nicht doch am Alkohol?“ oder „Habe ich das doch nicht so gewollt?“ auf. Auch, weil Freunde oder andere Beteiligte nicht immer den Opfern die K.o.-Tropfen sofort anmerken, denn diese müssen nicht immer sofort Knock out bedeuten.

Das bedeutet, dass Opfer vor Gericht, falls ein Täter gefunden wurde, kaum gewinnen und den Tätern nichts droht, da die Beweislage zu gering ist.

Diese vier Punkte führen auch dazu, dass keine ernsthaften statistischen Zahlen erfasst werden können und auf dem Papier K.o.-Tropfen nicht so verbreitet scheinen, wie sie vermutlich sind. Die Dunkelziffern sind höchstwahrscheinlich hoch.

Aber wieso wird dann der Erwerb von K.o.-Tropfen nicht gesetzlich verboten?

Zum einen werden die Drogen in der chemischen Industrie benötigt, um einige Produkte herzustellen. Daher wehrt sich diese gegen ein Verbot, da das einiges erschweren würde. Zudem können Täter die Mittel trotzdem im Ausland erwerben.

Zum anderen ist das Problem laut den verfügbaren Zahlen nicht so drastisch. Wo kein Beweis, da kein Problem! Hier ist aber wichtig zu erwähnen, dass es die Dokumentation zu allem rund um K.o.-Tropfen nicht wirklich gibt. Das hat unterschiedliche Gründe. Zum einen, dass sich Opfer selten melden. Zum anderen, dass die Bundesländer aus praktischen und bürokratischen Gründen diesen Aufwand nicht leisten oder unterschiedlich dokumentieren, sodass ein Vergleich für ein einheitliches Bild nicht gemacht werden kann. Das sagt beispielsweise der Bayerische Landtag auf Anfrage dazu:

Weder in der bayerischen Strafverfolgungsstatistik noch in der Justizgeschäftsstatistik sowohl der Staatsanwaltschaften als auch der Strafgerichte werden Attribute zu einzelnen Modalitäten der Tatbegehung wie die Verwendung von „K.-o.-Mitteln“ erfasst. Die Anzahl entsprechender Fälle könnte daher nur durch händische Durchsicht sämtlicher […] Verfahrensakten mit Bezug zu Körperverletzungs- und Sexualdelikten festgestellt werden, was mit vertretbarem Aufwand nicht geleistet werden kann.

Die aktuelle rechtliche Lage in Deutschland für GBL und GHB sieht so aus:

GBL wird in der chemischen Industrie benötigt und ist legal. GHB ist laut Betäubungsmittelgesetz verboten.

GBL wird im Körper innerhalb kurzer Zeit zu GHB umgewandelt, deshalb scheint die Rechtslage etwas paradox.

Kampf dem K.O.

Die Kampagne "Kampf dem K.o." ist eine Zusammenarbeit mit dem Institut für Rechtsmedizin des Universitätsklinikums Ulm und dem Ulmer Frauenbüro

Finanziert wird das Projekt vom Ministerium für Soziales, Gesundheit und Integration des Landes Baden-Württemberg mit rund 375.000 Euro. Seit 01. Januar 2024 werden bei jedem Verdacht auf K.o.-Tropfen gerichtsverwertbare Zusatzuntersuchungen durchgeführt. 

Prof. Dr. Sebastian Kunz ist ärztlicher Direktor des Instituts für Rechtsmedizin und ist im Projekt ebenfalls involviert.

Unsere Mission ist es, nicht nur die Versorgung von Betroffenen zu optimieren, sondern auch die Umstände dieser Vorfälle bestmöglich aufzuklären. Denn Vorfälle mit K.o.-​Tropfen haben nicht nur kurzfristige Auswirkungen, sondern können auch langfristige Folgen für die Opfer haben und diese jahrelang begleiten.

Wenn nun kostenlos Test durchgeführt werden und das Thema mehr Aufmerksamkeit erlangt, können auch mehr Daten erhoben und das Ausmaß des missbräuchlichen Konsums erkannt werden. 

Mit involviert sind das Institut für Rechtsmedizin, die Zentrale Interdisziplinäre Notaufnahme der Uniklinik Ulm, die Zentrale interdisziplinären Notaufnahme des Bundeswehrkrankenhauses Ulm, die Donauklinik Neu-Ulm, die Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe sowie die Notaufnahme der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin an der Uniklinik Ulm.

Diana Bayer ist Leiterin des Frauenbüros Ulm und Projektverantwortliche. 

Es sollte so sein, dass die Opfer wirklich Gehör finden und dass die Politik und wir wirklich aktiv daran arbeiten, diesen Missstand [...] zu ändern.

Laut Institut für Rechtsmedizin wurden bereits Zusatzuntersuchungen im Bereich von K.o.-Tropfen in diesem Jahr gemacht. Trotzdem steht das Projekt noch ganz am Anfang und wird erst im Laufe der Zeit wachsen, so Diana Bayer.

Ich denke, das ist ein Projekt, wo wir ganz viele Unbekannte haben und wir gar nicht abschätzen können, in welche Richtung sich wirklich die Zahlen entwickeln, wie viele Leute dann auch von dem Angebot Gebrauch machen und sich testen lassen.

Séverine Baisch ist ebenfalls Projektverantwortliche und arbeitet als Assistenzärztin am Institut für Rechtsmedizin. 

Letztendlich [hoffen wir], dass wir mehr Licht in die Dunkelziffer bekommen, [...] wenn es wirklich sich herausstellt, dass es doch deutlich mehr Fälle sind, als gedacht, dass man präventiv dagegen vorgeht und die Leute sensibilisiert, da mehr darauf aufzupassen.

Alles rund um das Projekt "Kampf dem K.o.", aktuelle Meldungen und später auch Erfahrungen, sammelt das Frauenbüro auf einer neuen Webseite.

In einem Jahr wird man dann Licht im Dunkeln haben: Wer sind die Opfer? Wie viele Opfer gibt es? So können nicht nur akut Betroffenen juristisch und therapeutisch geholfen werden, sondern allgemein Aufmerksamkeit und wichtige Zahlen erfassen werden.

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