Das gelingt nur, wenn man vorab informiert ist und den Kontakt mit Menschen mit Behinderung bewusst sucht, statt ihn zu scheuen.
Menschen, die selten oder nie mit Menschen mit einer geistigen oder körperlichen Behinderung zu tun hatten, empfinden den Kontakt mit ihnen häufig als einschüchternd oder stressig. So wird sich mitunter Sorgen darüber gemacht, worüber man gemeinsam reden kann. Außerdem kreisen sich viele Gedanken im Vorfeld darum, wie es sich vermeiden lässt, Menschen mit Behinderung anzustarren und sie stattdessen respektvoll zu behandeln. Diese Bedenken sind letztlich normal und verständlich – denn so ist es mit Vielem, mit was man nicht wirklich vertraut ist.
Allerdings ist es wichtig, zu erkennen, dass Menschen mit Behinderung genauso behandelt werden sollten wie alle anderen auch. Das Wichtigste bei der Interaktion mit Menschen mit Behinderung ist, dass ihr die Person als die seht, die sie ist. Die Behinderung ist Teil dieser Person, sie macht sie aber nicht aus. Es geht letztlich darum, dass ihr ein Bewusstsein für Behinderungen entwickelt, um betroffene Personen angemessen behandeln zu können.
Ob in der Stadt, auf der Arbeit, auf Festen wie Weihnachtsmärkten oder in öffentlichen Verkehrsmitteln: Nehmt Blickkontakt mit Menschen mit Behinderungen auf, statt ihn zu meiden. Starrt die Menschen nicht an, aber schenkt ihnen ein aufmerksames Lächeln oder behandelt sie ganz einfach so, wie alle anderen Mitmenschen auch.
Niemals aber solltet ihr Menschen mit Behinderung aktiv aus dem Weg gehen oder den Kontakt meiden. Denn viele Menschen, die befürchten, dass sie etwas tun oder sagen könnten, das ungewollt respektlos gegenüber einer Person mit Behinderung ist, ignorieren sie manchmal ganz und gar. Das ist eine viel größere Respektlosigkeit, als den Kontakt zu suchen und dabei vielleicht nicht sofort alles richtig zu machen. Das erwartet auch niemand, der eine Behinderung hat. Aufmerksamkeit dagegen hat jeder Mensch verdient.
Denn jeder würde sich schrecklich fühlen, wenn er ignoriert würde. Ignoranz also kann nie die richtige Entscheidung scheiden.
Oft denken Menschen ohne Behinderung vor allem über die Unterschiede zu jenen mit Behinderung nach. Nicht selten sind die Unterschiede aber trivial – denn die meisten Menschen mit Behinderung führen ein ganz „normales Leben“.
Deshalb ist es sinnvoller, im Kontakt von Anfang an nach Gemeinsamkeiten zu suchen, bevor über Unterschiede nachgedacht wird. Denn Gemeinsamkeiten sind die Grundlage aller zwischenmenschlichen Beziehungen.
Eine Person im Rollstuhl beispielsweise kann genau wie ihr ein Auto fahren, wenn sie denn einen Führerschein hat. Das ist die entscheidende Gemeinsamkeit. Sicherlich, sie muss anders ins Auto einsteigen: Sie nutzt vielleicht einen Rollstuhllift und braucht etwas länger, bis sie im Auto ist. Außerdem steuert sie vielleicht rein mit den Händen. Doch sie fährt auf den gleichen Straßen und macht auch sonst nichts anders. In diesem Fall spielen die kleinen Unterschiede einfach gar keine Rolle.
Diese „Regel“ ist im doppelten Sinne zu verstehen. Selbstverständlich solltet ihr Menschen mit Behinderung nicht beleidigen, diskriminieren oder gar mobben. Niemand kann etwas für seine Behinderung und ist aufgrund dessen schon gar kein schlechterer Mensch.
Zum anderen sollten Menschen mit Behinderung nicht als Opfer ebendieser Behinderung gesehen werden. Wenn ihr zum Beispiel jemanden als „Opfer einer Zerebralparese“ (meist spastische Störung des Nerven- und Muskelsystems) bezeichnet, nehmt ihr dieser Person ihre Macht. Ihr wisst ja gar nicht, ob diese Person selbst sich als Opfer ihrer Behinderung betrachtet.
Indem ihr sie in diesem Sinne bevormundet, beraubt ihr sie ihrer Stärke und ihrer Fähigkeit zur Überwindung. Denn die Betonung liegt dann auf dem, was ihnen passiert ist, und nicht auf dem, was sie dagegen getan haben oder wie sie damit umgehen.
Geht also Sie nicht davon aus, dass Menschen mit Behinderung diese Behinderung als eine Tragödie betrachten. Viele Menschen mit Behinderungen haben schwierige Zeiten durchgemacht, diese Emotionen aber inzwischen überwunden und sind glücklich und zufrieden mit ihrem Leben. Mit einer scheinbar harmlosen Aussage wie „Es tut mir so leid, dass Dir das passiert ist“ oder Ähnlichem, könnt ihr eher das Gegenteil von dem erreichen, was ihr vielleicht eigentlich im Sinn hattet.
Auch diese Regel lässt sich im doppelten Sinne verstehen und umsetzen. Ein Mensch mit Behinderung ist vielleicht in einem kleinen, bestimmten Bereich benachteiligt oder eingeschränkt gegenüber Menschen ohne Behinderung. Das macht ihn aber nicht weniger kreativ, produktiv oder intelligent. Deshalb solltet ihr allen Menschen mit Behinderung auf sozialer und intellektueller Augenhöhe begegnen.
Die Rede ist hier gleichzeitiger aber auch von der tatsächlichen körperlichen Augenhöhe. Denkt etwa an Begegnungen mit Rollstuhlfahrer:innen. Hier wiederum gilt es, Feingefühl zu beweisen.
Ihr solltet zwar nach Möglichkeiten suchen, eure Körperhaltung so anzupassen, dass ihr auf Augenhöhe mit den Rollstuhlfahrer:innen seid. Denn der Höhenunterschied kann ein unausgesprochenes Gefühl der Überlegenheit oder Unterlegenheit hervorrufen. Gleichzeitig solltet ihr vermeiden, beim Reden in die Knie zu gehen, da sich das Gegenüber dann mitunter wie ein Kleinkind fühlen kann. Die sicherste Lösung ist es also, sich, wenn möglich, gemeinsam an einen Tisch oder sich etwa in der Bahn auf einen freien Platz zu setzen.
Einige Menschen mit Behinderung sind aus individuellen Gründen auf Betreuer:innen angewiesen.
Das bedeutet aber nicht, dass sie nicht mündig sind und nicht selbst und für sich sprechen können. Jemand, der aufgrund einer körperlichen Behinderung eine verzerrte Figur oder einen Sprachfehler hat, muss nicht auch eine geistige Behinderung haben, die es verhindert, dass man ihn versteht.
Sprecht also immer erst mit der Person, bevor ihr deren Betreuer:in ansprecht. Das gebietet der Respekt. Andernfalls schadet ihr der Beziehung zur Person mit Behinderung unnötigerweise.
Heutzutage wird glücklicherweise viel mehr dafür getan, dass Menschen mit Behinderung weniger Hürden begegnen und dass sie immer weniger Hilfe benötigen. In Städten und Gemeinden etwa gibt es immer mehr diverse Verordnungen, Programme und Initiativen, die genau dies fördern. Gerade bei der Anlage neuer Gebäude und der Stadtplanung wird enorm auf Barrierefreiheit geachtet.
Dennoch verhindern es veraltetet Denkweisen und beispielsweise alte Architektur oft, dass sich etwa Rollstuhlfahrer:innen ohne Hilfe fortbewegen können. Allerdings heißt das nicht sofort, dass ihr ihnen ungefragt helfen solltet. Oft schätzt ihr eine Situation vielleicht als hilflos für Betroffene ein, obwohl diese sie ohne Hilfe lösen können. In diesem Fall greift wieder das Bevormundungsproblem.
Was ihr deshalb immer machen könnt, ist, Hilfe anzubieten. Unaufgefordert helfen und etwa spontan an die Griffe des Rollstuhls greifen, solltet ihr aber niemals.
Versucht stets, die Person und ihre Behinderung zu verstehen, bevor ihr erwartet, von ihnen verstanden zu werden. Denn es kann immer vorkommen, dass ihr euer Bestes gebt, mit einer Person mit Behinderung respektvoll umzugehen. Und dann geht das Ganze nach hinten los.
Versucht in diesem Fall, nicht beleidigt zu sein. Es handelt sich bei der „Korrektur“ bestimmt nicht um einen Angriff. Denn selbst, wenn ihr jegliche Tipps im Umgang mit Menschen mit Behinderung internalisiert habt, kann es immer noch vorkommen, dass ihr jemanden nicht so behandelt, wie er es sich wünschen würde. Versucht daher stets daran zu denken, dass es etliche Gründe haben kann, warum eine Person so reagiert, wie sie reagiert. Zum angemessenen Umgang gehört Verständnis und Nachsicht.
Zu guter Letzt solltet ihr immer vorsichtig bei der Verwendung veralteter und mitunter beleidigender Begriffe sein. Wir verwenden absichtlich das Wort „Menschen mit Behinderung“, da „Behinderte“ negativ konnotiert ist. Auch Formulierungen wie „an den Rollstuhl gefesselt sein“ sind heute nicht mehr akzeptabel. Viele Rollstuhlfahrer:innen mögen das Wort „gefesselt“ verständlicherweise nicht. Schließlich kommt damit zum Ausdruck, dass sie dadurch Gefangene ihrer Behinderung seien. Und als ebensolche sehen sich die meisten Menschen mit Behinderung einfach nicht.