Der Streit um die Schließung von 18 Notfallpraxen in Baden-Württemberg weitet sich aus. Der Städtetag forderte Gesundheitsminister Manne Lucha (Grüne) per Brief auf, die Pläne der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW) zu stoppen. Über das Schreiben berichtete der SWR. Es liegt der Deutschen Presse-Agentur vor.
Der Geschäftsführer des Kommunalverbands, Ralf Broß, pochte darauf, dass der Minister seine Rechtsaufsicht wahrnimmt und die Kassenärztliche Vereinigung zurückruft. Es sei zu klären, ob der Verband seine Kompetenzen überschreite und es wegen der Reform zu regionalen Benachteiligungen komme. «Die rechtliche Überprüfung der geplanten Maßnahmen durch das Sozialministerium als Rechtsaufsichtsbehörde erscheint daher dringend geboten», schrieb Broß.
Die Reform müsse um mindestens ein Jahr verschoben werden, so Broß. «Die medizinische Versorgung außerhalb von Praxisöffnungszeiten und für medizinische Notfälle steht vielerorts bereits unter Druck. Eine Umverlagerung der Patientenströme aus den Bereitschaftspraxen in die Notaufnahmen der Kliniken oder die ohnehin überlasteten Hausarztpraxen würde diese Belastung weiter verstärken.»
Der Städtetag warnte Lucha, die politische Dimension dieser Entscheidungen nicht zu unterschätzen. «Gesundheit ist ein besonders sensibles Thema, das die Lebensqualität der Menschen direkt beeinflusst. Maßnahmen, die bestehende Strukturen ohne belastbare Alternativen auflösen, könnten nicht nur zu Versorgungslücken führen, sondern auch das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit staatlicher Institutionen weiter schwächen.»
Lucha zeigte sich über das Schreiben verwundert. Er sei im Oktober im Sozialausschuss des Städtetags zu Gast gewesen und habe dort sehr ausführlich über das Prozedere rund um das von der KVBW beschlossene Schließungs- und Strukturkonzept, die Grenzen einer Rechtsaufsicht und die Verzahnung digitaler, ambulanter und stationärer Angebote gesprochen. «Vor diesem Hintergrund können wir den Inhalt und die vorwurfsvolle Tonalität des Schreibens in keiner Weise nachvollziehen», sagte Lucha.
Die KVBW habe die Spitzen aller betroffenen Städte, Gemeinden und Landkreise für den 19. Dezember zu einer Veranstaltung nach Stuttgart eingeladen, wo sie ihr Strukturkonzept ausführlich vorstellt und die schrittweise Umsetzung im Detail bespricht. «Auch das ist dem Städtetag bekannt. Die Forderungen, die Reform auf Eis zu legen, weisen wir zurück, sie sind aus unserer Sicht nicht begründet.»
Der gesundheitspolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Jochen Haußmann, unterstützt indes den Städtetag in seinen Forderungen nach einem Stopp der Pläne. «Ansonsten droht sehenden Auges eine weitere Verschlechterung der medizinischen Versorgung in Baden-Württemberg. Der Umstand, dass die betroffenen Kommunen vor vollendete Tatsachen gestellt und im Vorfeld nicht eingebunden wurden, unterstreicht unsere Forderung nach einem Notfallgipfel.» Lucha sollte dringend alle Beteiligten an einen Tisch bringen und in Ruhe ein tragfähiges Konzept erarbeiten. Dafür müssten die Schließungspläne vorerst zurückgestellt werden.
Auch der gesundheitspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion zeigte seine Unterstützung. «Die Schließung der Notfallpraxen bedeutet ein Kahlschlag für die ambulante Versorgung vor Ort. Das hat dramatische Folgen für die Patienten, besonders im ländlichen Raum», sagte Sprecher Florian Wahl. Vor wenigen Wochen habe man Lucha und der Kassenärztlichen Vereinigung 20.000 Unterschriften von besorgten Bürgern übergeben – mit der Forderung dieses Vorhaben zu stoppen. «Für uns ist klar: Wir kämpfen auch weiter um jede Notfallpraxis im Land.» Die Kassenärztliche Vereinigung zerlege die Versorgung vor Ort und der Gesundheitsminister stecke den Kopf in den Sand und warte ab.
Die KVBW hatte angekündigt, 18 Standorte in Baden-Württemberg schließen zu wollen, darunter auch die Notfallpraxis in Bad Buchau (Kreis Sigmaringen). Acht Praxen hatte die KVBW bereits im Laufe des Jahres dauerhaft geschlossen. Umgesetzt werden sollen die Schließungen schrittweise ab April 2025.
Künftig soll laut KVBW im Land gelten, dass 95 Prozent der Patienten innerhalb von 30 Fahrminuten eine Notfallpraxis erreichen sollen, alle anderen innerhalb von maximal 45 Minuten. Zudem sei vorgesehen, dass es nur noch Standorte in Verbindung mit einem Krankenhaus mit Notaufnahme gebe.