Streit um die Biberacher Filmfestspiele: Fronten verhärtet

Über 100 Filmemacher sind empört und in den sozialen Medien wird geschimpft: Im Streit um die Biberacher Filmfestspiele meldet sich jetzt der Trägerverein zu Wort.  




Der Ausstieg der Familie Kutter-Reichert bei den Biberacher Filmfestspielen erhitzt die Gemüter. Der Verein bezieht jetzt Stellung: Der Geist des Filmfestes soll nicht verändert, ein Streaming-Angebot solle nur zusätzlich angeboten werden. Reichert habe sich in Sponsoring-Geschäfte eingemischt, sei auf keine Kompromisse eingegangen und habe den Rückzug selbst gewählt. Die Fronten sind also verhärtet.

Der Biberacher Gemeinderat will das Thema im März behandeln. Da soll im Verein eine Reichert-Nachfolge vorgestellt werden. Es gebe dafür aktuell zwei Bewerbungen, so der Verein.

Die Stellungnahme des Vereins

Die Nachricht, dass Helga Reichert ihre Arbeit als Intendantin nicht mehr fortführt, bewegt die Gemüter unserer Mitglieder des Vereins Biberacher Filmfestspiele e.V., sowie der Familie Kutter/ Reichert eng verbundene Filmschaffende. Das ist dem Vorstand bewusst und zudem absolut verständlich. Die Äußerungen in einem offenen Brief von Filmschaffenden, auf Social-Media-Kanälen wie z.B. Facebook und in Form von Leserbriefen oder persönlichen Mails an Vorstandsmitglieder zeigen aber, dass gewisse Irritationen vorliegen. Der Vorstand möchte deshalb auf die am meisten gestellten Fragen antworten:

Wieso wurde der bisherige Vertrag mit Frau Reichert geändert? Was wurde geändert?

Frau Reichert ist im September 2020 auf eigenen Wunsch aus der Vorstandschaft ausgetreten. Das heißt allerdings auch, dass Sie seitdem Entscheidungen des Vorstandes, was die reine Vereinsarbeit (unter anderem Sponsorengespräche, Verhandlungen mit dem Kino, dem Festival-Hotel etc.) nicht mehr mittragen konnte. Dementsprechend wurde der Vertrag angepasst. Da Frau Reichert kein Vorstandsmitglied mehr, sondern vom Verein angestellt wäre, wurden im neuen Werk-Vertrag bisher selbstverständliche Bestandteile zur Veranstaltung detailliert dargestellt. Dies dient letztendlich zur Planungssicherheit für beide Vertragspartner. Ihre Tätigkeit als künstlerische Leitung hätte sich hierdurch weder geändert, noch wäre sie dadurch eingeschränkt gewesen.

Der Vorstand bedankt sich nochmals ausdrücklich bei Oberbürgermeister Norbert Zeidler für sein persönliche Engagement in dieser Angelegenheit. Frau Reichert wäre heute noch Intendantin, wenn sie sich auf die von ihm formulierte Kompromisslinie eines Mitgliederentscheids zum video-on-Demand eingelassen hätte.

Wieso wurde Frau Reichert nur ein 1-Jahres-Vertrag angeboten?

Dies wurde auf Grund mehrerer Zwischenfälle, besonders hervorzuheben ist eine eklatante Einmischung in unsere Geschäftsbeziehungen zu Großsponsoren, vom Vorstand entschieden. Die durch diese Einmischung (Frau Reichert war zu diesem Zeitpunkt bereits kein Vorstandsmitglied mehr) initiierte Belastung unserer Geschäftsbeziehung zum Partner, führte zu einer reduzierten Zahlung des Sponsorenbetrags. Dem Verein ist dadurch ein finanzieller Schaden entstanden. Sämtliche Verträge mit Sponsoren wurden vom Vorstand des Vereins einvernehmlich besprochen und bewilligt. Es steht dem Vereinsvorstand frei, Verträge mit Sponsoren zu schließen, insbesondere auch, um die Finanzierung der Filmfestspiele gewährleisten zu können.

Durch diese und weitere Aktionen seitens Frau Reichert ist eine äußerst anstrengende Polarität zwischen Vorstand und ihr entstanden. Aus diesen verständlichen Gründen wurde Frau Reichert ein Vertrag über ein weiteres Jahr angeboten und nicht wie in der letzten Mitgliederversammlung angedacht über drei Jahre. Leider war die Zusammenarbeit zu diesem Zeitpunkt bereits sehr angeschlagen, so dass der Vorstand in diesem Jahr herausfinden wollte, ob ein Anknüpfen an die gute Zusammenarbeit mit Frau Reichert an ihr erstes Jahr als Intendantin noch möglich gewesen wäre.

Wollte der Verein die Zusammenarbeit mit Frau Reichert beenden, um die Intendanz selbst zu übernehmen?

Nein. Frau Reichert hat trotz vielen Zugeständnissen und reichlich Entscheidungsspielraum den angebotenen Vertrag nicht angenommen und damit sich selbst, unmissverständlich, vom Veranstalter der Biberacher Filmfestspiele e.V. verabschiedet. Sie wurde folgerichtig vom Vorstand nicht entlassen, sondern hat sich bewusst gegen die Fortführung der Intendanz entschieden. Das ist ihr gutes Recht. Ebenso ist es aber auch das Recht und sogar die Pflicht des Vorstandes, um den Vereinszweck erfüllen zu können, nun für eine neue professionelle künstlerische Leitung zu sorgen. Selbstverständlich kann diese Tätigkeit, die sehr spezielle Kenntnisse erfordert, keines der Vorstandsmitglieder übernehmen.

Wieso werden die Biberacher Filmfestspiele von Laien geführt?

Der Vorstand setzt sich aus fünf Personen zusammen, die auf Ihren jeweiligen Fachgebieten keineswegs Laien sind. Dass die Vorstandsmitglieder kein Expertenwissen in Sachen Filmkunst haben, ist richtig. Das müssen sie aber auch nicht. Die Aufgabe des Vorstandes ist die Bearbeitung der Vereinsbelange, die Finanzierung und die Vorbereitung und Organisation der Filmfestspiele inklusive des Rahmenprogramms, sowie die Bedienung der Presse und der Medien. Die künstlerische Gestaltung, also die Auswahl der Filme und der einzuladenden Filmschaffenden, ist die ausschließliche Aufgabe der Intendanz. Die künstlerische Entscheidungsfreiheit erfolgt in einem gemeinsam festgelegten und budgetierten Rahmen und hat sonst keinerlei Beeinflussung durch den Vorstand. Dies ist auch bei anderen Festivals gängige Vorgehensweise.

Wie geht es nun weiter? Gibt es bereits eine/n Nachfolger/in?

Dem Vorstand liegen aktuell zwei Bewerbungen von Personen mit vielversprechenden Expertisen für die künstlerische Leitung vor. Die Gespräche sind aber noch nicht so weit abgeschlossen, um weiter Einzelheiten nennen zu können.

Welche Unstimmigkeiten gab es bei der Thematik „Video on Demand“?

Im vergangenen Corona-Jahr 2020 stellte sich bereits im Frühjahr die Frage, ob das Filmfest wie gewohnt stattfinden kann. Es wurden verschiedene Szenarien in Betracht gezogen, immer mit dem Wunsch im Hinterkopf, dass das Festival wie gewohnt als Präsenzveranstaltung laufen kann. Frau Reichert warf dem Vorstand immer wieder vor, problemorientiert statt lösungsorientiert zu denken, da sie der Meinung war, wir müssten präsent stattfinden, komme was wolle. Auch über ein Online-Festival wurde diskutiert, wogegen Frau Reichert sich komplett verschloss. Ihrer Meinung nach hätte das Festival, wenn nicht „normal-durchführbar“, komplett abgesagt werden sollen. Dies hätte aus Sicht des Vorstandes sowohl für die Sponsoren als auch für die Filmschaffenden, die auf die Festivals und die damit verbundenen Preise angewiesen sind, einen starken Verlust bedeutet. Auch das Kino hätte an einem Online-Programm mitverdient. Es war angedacht, die wegen den Hygienemaßnahmen nicht besetzten Sitzplätze virtuell zu besetzen. Deshalb wurde sich auf verschiedene Szenarien vorbereitet. Leider konnte das Online-Szenario auf Grund von Frau Reicherts Weigerung nicht bis zum Ende geplant werden.

Zum Glück konnten die Biberacher Filmfestspiele als letztes Film-Festival der Branche in der Woche vor dem Lockdown noch „normal“ stattfinden. Den Online-Schritt sind allerdings andere Festivals gegangen und waren damit durchaus erfolgreich (um ein paar zu nennen: Filmfestival Max Ophüls Preis, Braunschweig International Filmfestival, Internationale Hofer Filmtage, Internationales Filmfestival Mannheim-Heidelberg und viele mehr). Der Vorstand möchte sich auch im Jahr 2021 auf die Video-on-Demand Möglichkeit vorbereiten. Denkbar wäre zum Beispiel die Kurzfilme und die Dokumentarfilme (die Auswahl der Sparten, deren künstlerische Ausgestaltung sowie die Filmauswahl wäre natürlich nur in Absprache mit der Intendantin erfolgt) zusätzlich zu den Präsenzvorstellungen auch online anbieten. Dies ist in den Zeiten einer Pandemie nicht nur eine Sicherung vor dem Komplettausfall, sondern auch ein Schritt in die Zukunft.

Sollen sich die Filmfestspiele dadurch ändern? Sollen die Filmfestspiele ab sofort ein Online-Festival sein?

Die kommenden Biberacher Filmfestspiele werden in unveränderter Form als Publikumsfestival stattfinden. Alle Filmvorführungen werden im Traumpalast mit den gewohnten Diskussionsmöglichkeiten zwischen Zuschauer und Filmemacher veranstaltet. Es soll am bestehenden und bewährten Konzept nichts geändert werden. Nur begleitend zum Präsenzfestival wird ein Video on Demand Programm angeboten. Dieses Angebot ist eine Maßnahme um neue Nutzergruppen, auch überregional, zu erreichen. Personen, die gerne wie gewohnt im Kino vor Ort sein wollen, können dieses „Add On“ gerne ignorieren. Wir sehen dieses Angebot auch als unseren möglichen Beitrag zur Inklusion von Menschen mit Einschränkungen. Diesem Personenkreis, aber auch weggezogenen Biberachern oder Filmfest-begeisterten aus aller Welt kann dieses Angebot die Möglichkeit bieten, trotzdem in den Genuss der ausgewählten Filme zu kommen. Die Online-Vorstellungen sollen vor allem die Filmschaffenden dabei unterstützen, ihren Film so oft wie möglich zeigen zu können und daraus Einnahmen zu generieren.

Eine künftige reine Onlineversion der Filmfestspiele war und ist zu keiner Zeit ein Anliegen der Vorstandschaft. Wir sind froh, einen Kinopartner, den wir mit all unseren Optionen zum gemeinsamen Gelingen unterstützen werden, zur Seite zu haben.

Wie geht der Vorstand mit der aktuellen Situation um? Wie steht der Vorstand zu den Kutters? Wie bewertet der Vorstand den offenen Brief den Filmschaffende veröffentlicht haben?

Wir bedauern diese Situation sehr. Mit Adrian Kutter, dem wir auch unsere Hochachtung durch die Vergabe eines nach ihm benannten Preises bewiesen haben, hat die Zusammenarbeit zwischen Intendanz und Vorstand über viele Jahre zum Erfolg der Biberacher Filmfestspiele geführt. Tradition ist gut, aber wir sehen eine Weiterentwicklung und moderate Anpassung an gesellschaftliche, kulturelle oder technische Veränderungen als unverzichtbar und Ziel einer erfolgreichen Vereinsarbeit an.

In der aktuellen Situation bleibt nur der positive und Blick in die Zukunft. Dieser wird mit der Anstellung einer künstlerischen Leitung eingeleitet und der Vorstand arbeitet daran mit großer Intensität. Wir sehen unser weiteres Engagement nicht im Beklagen über die Beendigung einer Ära, sondern arbeiten mit ganzem Einsatz, auch im Sinne unserer Mitglieder, an einem Neubeginn und die erfolgreiche Fortführung der Biberacher Filmfestspiele.

Der offene Brief zielt zum einen darauf ab, am Familientreffen deutscher Filmemacher, also der Tradition der Biberacher Filmfestspiele festzuhalten. Dies ist die Hauptaufgabe des Vereins und wird von der Vorstandschaft genauso gesehen. Weshalb die Umsetzung nicht mehr mit Helga Reichert geschehen kann, was der zweite Teil der Forderung ist, liegt schlussendlich an ihr selbst und nicht in der Macht des Vorstands. Die Vorstandschaft würde sich freuen, viele der Filmschaffenden die Mitzeichner des Briefs sind auch unter neuer Intendanz in Biberacher begrüßen zu dürfen.

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