Ulm: Im Drogenrausch zugestochen?

Erster Prozesstag

Vor dem Ulmer Landgericht hat am Donnerstag der Prozess gegen eine 41-jährige Frau begonnen, die im März ihren 49-jährigen ehemaligen Lebensgefährten mit einem Messer lebensgefährlich verletzt hat. In ihrer ausführlichen Aussage lies die Frau einen tiefen Blick in eine problematische On-Off-Beziehung zu.

Mit kräftigen, selbstbewussten Schritten läuft die Brünette Frau in den Gerichtssaal, Hand- und Fußfesseln schränken ihre Bewegungsfreiheit ein und drei Justizbeamte geleiten sie zu ihrem Sitzplatz.

Nicht einmal ein halbes Dutzend Zuschauer hat sich im großen Schwurgerichtssaal eingefunden, um den Prozess um einen blutigen Streit auf offener Straße zu verfolgen. Nach der Verlesung der Anklageschrift durch die Staatsanwältin macht die Angeklagte umfangreiche Aussagen zum Tattag und auch zur Vorgeschichte, auch Nachfragen beantwortet sie mit fester Stimme gewissenhaft.

Die Tat

Die 41-jährige Reyhan K. hatte sich eine Woche vor der Tat nach gut zwei Jahren Beziehung von ihrem 49-jährigen Partner getrennt, im Lidl in der Wörthstraße kam es dann zu einer zufälligen Begegnung in der Schlange vor der Kasse. Das Opfer Ismail M. stand bereits mit zwei Freunden an der Kasse als er seine Ex-Partnerin entdeckte. Er übergab seine Einkäufe an einen der Freunde und verließ den Laden, weil er sie nicht sehen wollte. Vor dem Laden kam es dann doch zu einem Zusammentreffen und einem Streit, bei dem die Frau eine Bierdose flog. Ismail M. lief in Richtung Elisabethenstraße weg, doch Reyhan K. folgte ihm. Überraschend zog sie dann ein Messer aus ihrer Handtasche und verletzte ihren Ex-Partner zwischen den Augenbrauen. Als er dann schützend die Hände vor das Gesicht hielt, stach die 41-Jährige erneut zu und traf mit der 16 Zentimeter langen Klinge den linken unteren Lungenlappen. Anschließend schnappte sie sich die Jacke von Ismail M. und lief davon. Auf einer Kellertreppe sitzend wurde sie dann von der Polizei festgenommen.

„Das trifft zu, ich streite nichts ab“ kommentierte sie die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft und ergänzte das mit einem „Tut mir leid, es war nicht beabsichtigt“. Als Auslöser der Tat sieht sie die Vorgeschichte aus der Beziehung heraus und auch ihren damaligen Drogenkonsum.

In der Beziehung gab es immer wieder Phasen der extremen Verliebtheit von beiden Seiten, doch auch immer wieder Streit, Misstrauen, Eifersucht und auch Gewalt. Die Frau erstattete mehrfach Anzeige, doch bei der nächsten Versöhnung wurde die Anzeige wieder zurückgezogen. Dazu gehörte auch der gemeinsame Drogenkonsum. Reyhan K. konsumierte am Tattag nach eigenen Angaben Heroin und Kokain und missbrauchte Benzodiazepine. Ismail M. befindet sich derzeit in einem Methadon-Programm.

Eine Woche vor der Tat kam dann die endgültige und friedliche Trennung, sie packte die Sachen ihres Ex-Partners in Säcken zusammen, die er abholen durfte. Dabei hat er auch Dinge mitgenommen, die er ihr geschenkt hat, so beispielsweise einen E-Scooter. „Ich habe ihm seinen ganzen Kleiderschrank geschenkt“ war Reyhan K.s Argument, warum sie den ihr geschenkten E-Scooter behalten wollte, wenn er die ihm geschenkte Kleidung behalten darf.

Zeugenbefragung des Opfers

Bei der Zeugenbefragung des Opfers waren die Standpunkte, wem was gehört und wer was behalten darf, teilweise stark abweichend und es war deutlich zu spüren, dass es viele andere Streitereien gegeben haben muss.

In seiner Zeugenbefragung schilderte das Opfer ausführlich, wie er mit dem Messer angegriffen wurde. Nach einer guten Woche konnte er das Krankenhaus wieder verlassen, wobei er bis heute Schmerzmittel nehmen muss und Bewegungseinschränkungen hat. Das Opfer hat der Täterin über seinen Rechtsanwalt ausrichten lassen, dass er keinen Kontakt zu ihr wünscht. Die Entschuldigungsbriefe, die sie aus der Haft geschrieben hat, bezeichnet er als „gespielt, damit sie bei Gericht gut dasteht“. Auch einen mündlichen Entschuldigungsversuch in der Gerichtsverhandlung lehnte er mit den Worten „definitiv nicht“ ab.

Doch Reyhan K. hat auch Angst vor ihrem Ex-Partner gehabt, so soll er ihr einmal eine Schere an den Hals gehalten haben. Ein anderes Mal hat er sie auf offener Straße gewürgt, dafür bekam er eine fünfmonatige Bewährungsstrafe. „Ich habe wirklich Angst vor diesem Menschen“ sagte sie dem Richter. Das sei auch der Grund, warum sie ein Messer in ihrer Handtasche dabei hatte.

Für eine Überraschung sorgte Reyhan K.s Verteidiger Alfred Nübling. Er fragte Ismail M. wegen welcher Taten dieser kommende Woche als Angeklagter vor dem Amtsgericht erscheinen muss, doch Ismail M. wollte dazu vor Gericht keine Angaben machen. Nach Nüblings Kenntnisstand geht es um den Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung.

Es sind noch drei weitere Verhandlungstermine angesetzt, bisher sind sieben Zeugen und zwei Sachverständige geladen, ein Urteil kann Anfang Oktober fallen.

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