In einem Planspiel übt das JSEC-Kommando der NATO in der Ulmer Wilhelmsburg, eine große Anzahl an Verwundeten in ihre Heimatländer zu bringen. Fünf Tage lang planen 71 Soldaten aus 21 Nationen, wie sie die Verwundeten aus einem angenommenen Kampfgebiet zurückholen – und dabei müssen sie allerlei überraschende Störungen, wie in der Realität, bewältigen.
Die Sicherheitsvorkehrungen sind groß, wenn man einen Blick auf die Übung werfen will. Die in Ulm stationierte NATO-Einheit hat einer einstelligen Anzahl Journalisten Zugang gewährt, doch Kameras und Smartphones mussten draußen bleiben. Nur Kugelschreiber und Schreibblock durften in den abhörsicheren Raum mitgenommen werden. Mit einem Scanner überprüfte ein Soldat, ob nicht doch irgendjemand elektronische Geräte dabei hatte. Bei einem Journalisten gab es einen verdächtigen Ausschlag auf dem Prüfgerät, doch es war nur der Funk-Autoschlüssel in der Jackentasche. Im Raum entstehen nur ein paar Fotos durch eine NATO-Fotografin, die dann auch noch auf geheimzuhaltende Inhalte überprüft werden.
„Wir hoffen, dass wir das nie erleben“, gibt Oberstarzt Dr. Michael Clauss, der Übungsleiter, als Motto aus. Doch die NATO übt die Koordination mit ihren 32 Partnerländern, um alle notwendigen Transporte abwickeln zu können. Große Landkarten liegen auf den Tischen, Linien zeigen Transportwege und dann gibt es Massen an Jetons. Jeder dieser Chips ist beschriftet mit Verwundetenanzahl, Verletzungsschwere und Heimatland. Dazu gibt es Karten mit Hospitalschiffen, Krankentransportfahrzeugen und Flugzeugen, auf denen jeweils die Transportkapazitäten stehen.
Der JSEC-Kommandeur, Oberstleutnant Kai Rohrschneider, erinnerte an die COVID-Zeit, in der klar wurde, welche Herausforderung ein internationaler Patiententransport ist. Die aktuelle Übung versteht Rohrschneider auch in einem anderen Kontext: „Ich glaube, dass wir tatsächlich aktuell ein wirksames Abschreckungssignal Richtung Russland senden.“ Ziel der Übung ist es, Personal- und Materialtransporte Richtung Einsatzgebiet genauso abwickeln zu können wie den Transport von Verwundeten und beschädigtem Einsatzmaterial zurück in die Heimatländer. Doch dazu kommen auch noch Flüchtlingsbewegungen, die berücksichtigt werden müssen.
Um nicht nur Jetons über eine Landkarte zu schieben, hat das Joint Warfare Center in Norwegen gemeinsam mit dem 14-köpfigen Team von Clauss ein anspruchsvolles Planspiel entwickelt. Ähnlich wie bei Monopoly gibt es Ereigniskarten, die gezogen werden – und dann regnet es plötzlich heftig oder Ambulanzflugzeuge können wetterbedingt nicht fliegen. Dann muss umgeplant werden. Nun ist eine belgische Soldatin gefordert, zu würfeln. Je nach Würfelzahl kann sich dann schlagartig die Zahl der Verwundeten verändern. Doch auch schlechter Treibstoff kann zahlreiche Transportfahrzeuge ausfallen lassen. Alle Veränderungen müssen dann mit den Herkunftsländern der Verwundeten abgestimmt werden, den Ländern, die Transportmittel zur Verfügung stellen, und natürlich auch mit den Ländern, die von dem Angriff betroffen sind.
Am Ende der Übung gibt es daher auch – so erklärt es Übungsleiter Michael Clauss – keinen Gewinner. Es geht um das Überprüfen der Prozesse: „Reden die richtigen Leute miteinander?“ Und auch aktuelle Erkenntnisse fließen in die Übung mit ein. So hat die Bundeswehr in Zelten und Containern mobile Hospitäler entwickelt, die an jedem Ort der Welt eine Versorgung auf dem Niveau eines Kreiskrankenhauses bieten. Diese Hospitäler können aber nicht in der Reichweite gegnerischer Raketen eingesetzt werden, da der Krieg gegen die Ukraine gezeigt hat, dass das Rote Kreuz gemäß der Genfer Konvention nicht mehr als Schutzzeichen akzeptiert wird, sondern von russischen Soldaten ganz gezielt angegriffen wird. Die ukrainischen Ärzte versorgen daher ihre Verletzten frontnah in Bunkern und versteckt in Kellern – die Transporte ins befriedete Hinterland erfolgen dann nachts. Das verlängert die Transport- und Betreuungszeiten der Verwundeten und muss im Planspiel entsprechend berücksichtigt werden.
Rohrschneider ist ein gewisser Stolz auf seine multinationale Truppe anzumerken, wenn er darauf hinweist, dass es vor vier Jahren „nichts“ gab – und nun das JSEC in einer großen Übung beweist, dass es in der Lage ist, große logistische Bewegungen im ganzen NATO-Gebiet koordinieren zu können.